Rede: Konzept sicherer Herkunftsstaaten beschneidet Schutzanspruch von Flüchtlingen

Rede zu TOP 6 der 61. Sitzung des Deutschen Bundestages, 8.11. 2018

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung Georgiens, der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten  (Drucksache 19/5314)

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lindh, ich muss wirklich sagen: Wie man so an dem Thema vorbeireden kann, wie Sie es eben in Ihren neun Minuten gemacht haben, ist mir völlig unverständlich

(Christoph de Vries (CDU/CSU): War gut! War super!)

vor dem Hintergrund, dass es in den Maghreb-Staaten erhebliche Menschenrechtsverletzungen gibt; auf die sind Sie mit keinem Wort eingegangen. Ich denke wirklich: Es muss doch jedem hier die Schamesröte ins Gesicht treiben, wenn man über diese ganzen Menschenrechtsverletzungen einfach so hinweggeht. Ich finde, das ist ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Gesetzentwurf steht, in den Maghreb-Staaten würden keine bestimmten sozialen Gruppen verfolgt. Wir haben es heute schon gehört: Das stimmt einfach nicht. Homosexuelle müssen in allen drei Ländern mit Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren rechnen. Die Bundesregierung relativiert es sogar. Auch Herr Mayer hat es heute einfach weggeschwiegen; er hat davon abgesehen, zu diesem Punkt Stellung zu nehmen. Sie sagen in dem Gesetzentwurf: „wenn sie öffentlich sichtbar gelebt wird“, dann wird sie verfolgt. Ich finde es einfach unglaublich zynisch, wenn so argumentiert wird. Die Verfolgung von Homosexualität ist keine Bagatelle, sondern tatsächlich eine Menschenrechtsverletzung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit Verfolgung müssen übrigens auch Konvertiten, Christen, Atheisten rechnen. Erst im April dieses Jahres wurde der Christ Slimane Bouhafs aus einem algerischen Gefängnis entlassen, nachdem er 20 Monate dort verbringen musste, weil er angeblich den Islam und seine Propheten beleidigt hat.

(Abg. Beatrix von Storch (AfD) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten von Storch?

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Nein. – Sieben Kirchen wurden unter formalen Vorwänden geschlossen. Sind das keine Menschenrechtsverletzungen?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Amnesty International informiert ausführlich über das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen im Maghreb. Da ist die Rede von Hunderten von friedlichen Demonstranten, die 2017 in Marokko verurteilt wurden, von Massenfestnahmen in der Rif-Region – die Westsahara wurde ja völkerrechtswidrig besetzt -,

(Tobias Pflüger (DIE LINKE): Bis heute!)

von wiederkehrender unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstranten. Amnesty International dokumentiert 173 Fälle von Folter mit einem – so muss man klar sagen – eindeutigen Foltermuster. In Algerien erhalten Vertreter von Menschenrechtsorganisationen seit 2005 keine Einreiseerlaubnis. Das sagt doch alles, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Pressefreiheit steht meist nur auf dem Papier. Kritische Journalisten, Blogger werden kriminalisiert, wenn sie zu laute Kritik an den Behörden üben oder gegen die sogenannte öffentliche Moral verstoßen. Von einer unabhängigen Justiz kann überhaupt nicht die Rede sein. Die Justiz ist der Regierung hörig.

Am massivsten werden übrigens Frauen unterdrückt. In Algerien gehen Männer, die minderjährige Mädchen vergewaltigen, straffrei aus, wenn sie ihr Opfer heiraten. Wer behauptet, im Maghreb gebe es praktisch keine asylrelevante Verfolgung, betreibt eine politisch kalkulierte Weißwäscherei brutaler Menschenrechtsverletzungen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Mayer, die Einstufung als sicheres Herkunftsland bedeutet, dass alle Asylanträge von dort erst einmal prinzipiell als unbegründet gelten. Im Gesetzentwurf wird auch behauptet, viele Asylanträge aus dem Maghreb hätten „von vornherein sehr geringe Erfolgsaussichten“. Nach dem, wie ich die Menschenrechtslage geschildert habe, kann man einfach nur sagen: Es ist völlig unverständlich, warum das hier nicht ernsthaft diskutiert wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem stellt die Bundesregierung damit alle Schutzsuchenden aus dem Maghreb unter den Generalverdacht des Missbrauchs;  denn wenn man schon vor Beginn eines Verfahrens das Ergebnis vorwegnimmt, verweigert man dem Antragsteller eine unvoreingenommene Prüfung.

(Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): Das Ergebnis wird nicht vorweggenommen!)

Damit wird dann begründet, warum Sie diese Verfahren beschleunigen. Innerhalb einer Woche werden die dann abgefertigt. Die Antworten auf Kleine Anfragen zeigen übrigens: In diesen Schnellverfahren ist die Anerkennungsquote halb so hoch wie in normalen Verfahren – bei gleichen Herkunftsländern.

Die Regelung der – scheinbar – sicheren Herkunftsländer ist also eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Sie beschneidet nachweislich den Schutzanspruch von Flüchtlingen. Sie erhöht das Risiko, dass Verfolgte abgelehnt und abgeschoben werden. Das ist eine Verhöhnung des Asylrechts und meines Erachtens eine eklatante Missachtung der Lehren aus der deutschen Geschichte.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will hier noch einmal die Folgen für die Betroffenen aufzeigen. Ihnen bleibt bei einem ablehnenden Bescheid nur eine Woche Klagefrist. Eine aufschiebende Wirkung hat diese Klage nicht, sie muss im Eilverfahren beantragt werden, und das von Menschen, die aufgrund einer strengen Residenzpflicht im Wohnheim praktisch interniert sind und nur eingeschränkten Zugang zu Rechtsanwälten haben.

Für diese Schutzberechtigten – so heißt es im Gesetzentwurf – soll jetzt eine Rechtsberatung aufgebaut werden. Es wäre doch das Mindeste, meine Damen und Herren, diese ebenfalls gesetzlich zu verankern, und zwar für alle Asylsuchenden, und nicht nur unverbindlich anzukündigen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Ich komme zum letzten Satz. – Jeder einzelne Asylantrag muss unvoreingenommen, fair geprüft werden. Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)