Rede: Aufnahme unbegleiteter Flüchtlingskinder jetzt!

142. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 29. Januar 2020 zu ZP 2 und ZP 3

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heike
Hänsel, Michel Brandt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
Für eine schnelle Aufnahme unbegleiteter Flüchtlingskinder aus den EU-Hotspots in Griechenland
Drucksachen 19/14024, 19/16030

Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Asylsuchende aus Griechenland
Drucksache 19/16838

 

 

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Frei, seit Jahren diskutieren wir über europäische Maßstäbe, seit Jahren diskutieren wir über Griechenland und über die Überforderung Griechenlands. Da nutzt es meines Erachtens nicht, hier eine Klein-Klein-Aufrechnung zu machen, sondern Deutschland sollte tatsächlich Vorbild im solidarischen humanitären Handeln sein.

(Thorsten Frei (CDU/CSU): Sind wir!)

Das bedeutet eben tatsächlich, Kinder und Jugendliche, die unbegleitet sind, ohne ihre Eltern in diesen geschlossenen katastrophalen Lagern, in Deutschland aufzunehmen. Die Kapazitäten sind da, und die Hilfsbereitschaft der Menschen in unserem Land ist auch vorhanden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Lebensbedingungen in den Hotspots sind von Not und Gewalt geprägt. Es fehlt dort an allem: an Schlafplätzen, an sanitären Einrichtungen, an ärztlicher Versorgung, an psychologischer Betreuung, am Zugang zu Bildung. Im größten Lager Moria waren jetzt kürzlich etwa 20 000 Schutzsuchende untergebracht. 40 Prozent von ihnen sind Minderjährige. Ihre Rechte werden in einem teils bedrohlichen Ausmaß verletzt. 2019 sind drei Kinder in der Folge dieser Bedingungen dort gestorben.

Diese erbärmlichen Zustände wurden bewusst, Herr Frei, durch den schäbigen Flüchtlingsdeal mit Erdogan geschaffen, mit dem alleinigen Ziel, Menschen abzuschrecken, nach Europa zu kommen. Man bezahlt Erdogan dafür, dass er Flüchtlinge abhält,

(Christoph de Vries (CDU/CSU): Dass die Menschen versorgt werden! – Thorsten Frei (CDU/CSU): Zu verhindern, dass sie ertrinken!)

wirklich Schutz zu finden. Das ist ein Riesenskandal, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der damalige Innenminister de Maizière hat übrigens 2016 im Bundestag mit den Worten auf uns eingeredet: Auch wenn wir jetzt einige Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen: Unser Ansatz ist richtig. – Wir sehen aber: Es geht nicht um einige Wochen, sondern es geht um Jahre. Und wenn Sie ehrlich sind, wissen Sie auch, dass die Menschen dort jahrelang warten, bis ihr Verfahren durchgeführt wird.

(Thorsten Frei (CDU/CSU): Und das muss man ändern!)

Davon mal ganz abgesehen: Nein, wir wollen diese Bilder nicht ertragen und aushalten, sondern wir wollen die untragbaren Zustände in den griechischen Lagern ändern. Und dafür können wir hier auch ganz viel tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Aufnahmebereitschaft in Deutschland ist groß. Ich sagte es eben schon: Die Liste der Städte und Gemeinden, die öffentlich erklärt haben, mehr Flüchtlinge aufnehmen zu wollen, wird immer länger. Etwas über 120 haben sich schon bereit erklärt. Die Länder Berlin, Niedersachsen und Thüringen haben Innenminister Seehofer im Dezember ihre Bereitschaft signalisiert und sogar um Zustimmung zur Aufnahme der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen gebeten. Doch Seehofer stellt sich quer. Das ist wirklich eine Schande, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Thorsten Frei (CDU/CSU): Ach, Quatsch!)

Viele der in den Hotspots festsitzenden Flüchtlingskinder haben Angehörige, die bereits im Asylverfahren in Deutschland sind. Sie haben gemäß der Dublin-Verordnung einen Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung. Doch das BAMF verwehrt selbst ihnen immer häufiger die Aufnahme nach Deutschland. Zwischen Juni und Dezember hat die Asylbehörde mehr als 70 Prozent der Übernahmeersuchen aus Griechenland mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört, hört!)

So darf man mit dem Menschenrecht auf ein Familienleben nicht umgehen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das BAMF muss meines Erachtens unmissverständlich angewiesen werden, diese Regelung der Dublin-Verordnung zur Familienzusammenführung großzügig auszulegen. Mit unserem Antrag schlagen wir vor, dass wenigstens die 2 000 unbegleiteten Kinder aus den Horrorlagern herausgeholt werden.

Das kann aber nur der Anfang sein. Die Bundesregierung muss sich auf EU-Ebene für die sofortige Aufkündigung des Türkei-Deals und für die Schließung dieser in EU-Verantwortung liegenden Hotspots einsetzen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Jelpke.

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Wir brauchen ein europäisches Asylsystem, das diesen Namen wirklich verdient.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)