Offener Brief an die vom türkischen AKP Regime inhaftierte Journalistin Meşale Tolu

Liebe Meşale Tolu,

ich möchte persönlich meine herzlichsten Grüße aus Berlin hinter die türkischen Gefängnismauern senden. Deine Inhaftierung ist ein Skandal, der den erbärmlichen Status der Pressefreiheit im Erdogan Regime deutlich macht.
Noch wirst du – ebenso wie der Journalist Deniz Yücel – als Geisel festgehalten, um ein weiteres Wohlverhalten der Bundesregierung zu erzwingen. Doch gerade das bisherige Wohlverhalten der Bundesregierung hat überhaupt erst ermöglicht, dass ein diktatorisches Regime errichtet werden konnte, weil der Präsident auf die Rückendeckung der deutschen Bundesregierung zählen konnte. Der Besuch von Bundeskanzlerin Merkel vor der Wahl 2015 stärkten Erdogan ebenso wie ihr Schweigen selbst zu den übelsten Verbrechen, den Massenverhaftungen von Journalisten, der Zerstörung der kurdischen Städte und den Massakern in den Kellern von Cizre. Auch jetzt noch plant der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall eine Panzerfabrik an die Türkei zu liefern und die Bundesregierung denkt nicht daran, dies durch ein Veto zu verhindern.
Deine Inhaftierung ist auch eine Folge des EU-Türkei-Deals und des damit erkauften Schweigens der EU-Regierungen. Kurdische und sozialistische Aktivisten aus der Türkei werden in Deutschland als Terroristen angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt. Und Internationalisten, die sich als Freiwillige in Rojava den faschistischen IS-Banden entgegengestellt und damit auch für unsere Sicherheit gekämpft haben, werden nach ihrer Rückkehr in Deutschland als sogenannte „Gefährder“ verfolgt. Die Symbole und Fahnen der von der internationalen Koalition unterstützten kurdischen Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer aus Syrien sind als Zugeständnis an Erdogan außer in der Türkei nur noch in Deutschland verboten. Trotz oberflächlicher Differenzen mit der türkischen Regierung – die sich etwa im Abzug der Tornados aus Incirlik zeigen – steht die Bundesregierung weiterhin zur Türkei als NATO-Partner und Wirtschaftspartner.
Doch das AKP-Regime scheint wahrlich auf tönernen Füssen zu stehen. Anders ist es nicht zu erklären, dass die türkische Polizei kürzlich zwei gegen ihre Kündigung in den Hungerstreik getretene Akademiker mit der Begründung verhaftete, dieser Protest könne eine neue Gezi-Bewegung auslösen. Auch der trotz Repression und Wahlfälschung knappe Ausgang des Referendums hat gezeigt, dass die Hälfte der Bevölkerung – mindestens! – nicht hinter Erdogan steht. Und außenpolitisch erleidet die AKP vor allem in Syrien eine Schlappe nach der anderen. Die kommende Niederlage des IS in seiner „Hauptstadt“ Raqqa wird auch die Niederlage der AKP als Geburtshelferin des Terrorkalifats sein.
Daher hoffe ich, dass Du dich nicht entmutigen lässt. Denn der Silberstreif der Freiheit ist am Horizont bereits sichtbar. Ich möchte Dir meine wärmste Solidarität – Liebe und Kraft – hinter die Gefängnismauern schicken!
Mit herzlichen Grüßen,

Ulla Jelpke