Artikel: Geheimdienstkumpanei mit Türkei

Bundesinnenminister verharmlost Menschenrechtsverletzungen und will gemeinsame Dateien einrichten lassen

Trotz schwerer Menschenrechtsverletzungen unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will die Bundesregierung gemeinsame Geheimdienstdateien mit der Türkei einrichten. Das bestätigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Sonntag gegenüber dem Deutschlandfunk. Hintergrund ist ein neues sogenanntes Antiterrorpaket, das die Bundesregierung vorletzte Woche durch den Bundestag gepeitscht hat. Damit wird das Bundesamt für Verfassungsschutz ermächtigt, gemeinsame Dateien mit Partnergeheimdiensten in anderen EU- und NATO-Staaten einzurichten. Ein vergleichbares Gesetz für den Bundesnachrichtendienst ist in Planung.

Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützer und Linksfraktion hatten erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen das neue »Antiterrorgesetz« geltend gemacht. Zumindest benennt es die Einhaltung »grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien« in den jeweiligen Partnerländern als Voraussetzung für gemeinsame Dateien des Verfassungsschutzes mit ausländischen Geheimdiensten. Von daher hatten die Vertreter des Innenministeriums im Innenausschuss des Bundestages noch am 22. Juni versichert, dass angesichts der Menschenrechtslage in der Türkei eine solche Kooperation mit dem türkischen Geheimdienst »derzeit« ausgeschlossen sei. Für die Zukunft wollten sich die in dem Bundestagsgremium anwesenden parlamentarischen Staatssekretäre nicht festlegen.

Inwiefern sich die Achtung der Menschenrechte am Bosporus innerhalb von zwei Wochen womöglich grundlegend zum Besseren gewandelt hat, erklärte de Maizière dem Deutschlandfunk nicht. Er könne doch nicht »auf Information über einen für Deutschland gefährlichen Menschen verzichten, nur weil sie aus einem Staat kommt, wo Pressefreiheit nicht in vollem Umfang gewährleistet ist«, verharmloste der Bundesinnenminister statt dessen die Situation in der Türkei. Dort sind derzeit eine halbe Million Kurden nach Zerstörung ihrer Städte durch die Armee auf der Flucht. Hunderte Zivilisten starben in den vergangenen Monaten bei sogenannten Antiterroroperationen. Der türkischen Armee wurde gerade per Gesetz Straffreiheit selbst bei Kriegsverbrechen zugebilligt. Dutzende regierungskritische Journalisten sitzen in Gefängnissen, den Abgeordneten der linken kurdischen HDP droht nach dem Entzug ihrer Immunität nun die Verhaftung.

»Wir könne uns ja unsere Partner nicht aussuchen«, rechtfertigte de Maizière die angestrebte Geheimdienstzusammenarbeit mit der »geographischen Schlüssellage« der Türkei, Millionen in Deutschland lebenden türkischstämmigen Menschen und der NATO-Partnerschaft. Wegen Kritik an der menschenrechtlichen Situation könne man nicht auf die Zusammenarbeit verzichten. Vielmehr ermögliche diese erst eine »Nähe für das, was wir für richtig halten in Sachen Menschenrechte«.

Allerdings müssten gemeinsame Geheimdienstdateien »in jedem einzelnen Fall genehmigt werden«, fügte der Bundesinnenminister hinzu. Obwohl doch das Wesen einer gemeinsamen Datei gerade darin besteht, dass keine genehmigungspflichtigen Einzelinformationen abgefragt werden. Es gehe beispielsweise um den Informationsaustausch bezüglich der »reisenden Kämpfer, die über die Türkei nach Syrien und in den Irak kommen«, erklärte de Maizière. Hier könnte Ankara in der Tat wichtige Informationen liefern. Schließlich ist der türkische Geheimdienst nachweislich daran beteiligt, Kämpfer dschihadistischer Terrorgruppen wie des IS und der Al-Nusra-Front logistisch zu unterstützen, mit Waffen zu versorgen und über die Grenze nach Syrien zu schleusen. Doch während die türkische Regierung die Al-Nusra-Front wieder von ihrer Terrorliste gelöscht hat, sieht sie in den gegen die Dschihadisten kämpfenden kurdischen Rebellen derzeit die gefährlichsten »Terroristen«. Eine gemeinsame Antiterrordatei mit dem Verfassungsschutz würde es dem türkischen Geheimdienst ermöglichen, auf Informationen zu kurdischen und türkischen Exilpolitikern zurückzugreifen. Die Folgen können durchaus tödlich sein.

erschien in junge Welt vom 5.7.16