Den Taliban in die Hände

»Gastrecht verwirkt«: Laschet und Seehofer für weitere Abschiebungen nach Afghanistan. Nächster Flug nach Kabul könnte schon am Dienstag starten

von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 03.08.2021)

NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) hat sich am Montag in Bild für weitere Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen. Wer in Deutschland straffällig werde, habe sein »Gastrecht verwirkt«. Am Wochenende hatte bereits Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für weitere Abschiebungen in das Kriegsland plädiert. Man verhandle gerade mit Kabul, damit weiterhin dorthin abgeschoben werden könne, sagte er der Bild am Sonntag. Die afghanische Regierung hatte Anfang Juli angesichts des schnellen Vormarschs der islamistischen Taliban bei gleichzeitigem Abzug der NATO-Truppen mitgeteilt, dass Abschiebungen für die Dauer von drei Monaten ausgesetzt werden sollten.

Auf eine Anfrage der Fraktion von Die Linke im Bundestag hin teilte die Bundesregierung am 29. Juli mit, man prüfe die Ankündigung der afghanischen Regierung weiterhin »eingehend«. Nach Berichten der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl setzt die Bundesregierung die Regierung in Kabul jedoch unter Druck, Abgeschobene weiterhin zurückzunehmen. Pro Asyl veröffentlichte zudem am Montag auf Twitter die Information, dass bereits am Dienstag möglicherweise der nächste Abschiebeflug starten könnte. Während Schweden, Finnland und Norwegen verkündet haben, Abschiebungen auszusetzen, legte das SPD-geführte Auswärtige Amt Mitte Juli einen neuen Lagebericht vor, der einer Gefährdung von Rückkehrern trotz der schweren Kämpfe im Land widerspricht.

Unterdessen sind afghanische Geflüchtete vor deutschen Gerichten zunehmend erfolgreich darin, ihr Recht auf Schutz einzuklagen: Bei insgesamt 4.212 inhaltlichen Entscheidungen zwischen Januar und Mai des laufenden Jahres erhielten die Kläger in 3.203 Fällen hierzulande Schutz. Das zeigt die Antwort auf dieselbe Linke-Anfrage. Mehr als drei Viertel der beklagten Afghanistan-Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erwiesen sich somit bei inhaltlicher Prüfung durch die Gerichte als rechtswidrig – noch mehr als im vorigen Jahr, in dem 60 Prozent der angefochtenen Bescheide von Gerichten korrigiert werden mussten. Im laufenden Jahr hat die Asylbehörde in 3.203 Fällen Asylsuchenden aus Afghanistan den benötigten Schutz vorenthalten oder einen unzureichenden Schutzstatus erteilt.

Die hohe Fehlerquote bei den Asylbescheiden steht in direktem Gegensatz dazu, dass sich die Zahl der zivilen Opfer in dem Kriegsland laut UN-Bericht auf dem höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009 befindet. Allein im Mai und Juni 2021 wurden 2.392 Zivilisten verletzt oder getötet. Unter den Getöteten befindet sich auch ein Mann, der im Februar aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben wurde. Er hatte sich einem Rekrutierungsversuch der Taliban widersetzt und wurde dann bei einem Granatenangriff auf sein Haus tödlich verletzt. SPD, Grüne und Linke fordern einen sofortigen Abschiebestopp für Afghanistan. Seehofer kündigt unterdessen bereits an, die Zahl der Abschiebungen nach Ende der Pandemie wieder deutlich erhöhen zu wollen.

Schweigen herrscht seitens der Unionsparteien hingegen in Bezug auf die Situation im Mittelmeer – seit beinahe zehn Monaten hat die Bundesregierung sich nicht mehr an der Aufnahme von geretteten Geflüchteten beteiligt. Die Seenotrettungsorganisationen SOS Méditerranée, Sea-Watch und Resqship haben am Wochenende mehr als 700 Geflüchtete in Seenot gerettet, die nun auf die Zuweisung eines sicheren Hafens warten.