Innenminister: Weiter so

Kampf gegen Neonazis als Nebelwand
Kommentar von Ulla Jelpke zur Innenministerkonferenz in junge Welt vom 18. Juni 2020

Im Kampf gegen Naziterroristen sei »mehr Ehrgeiz« nötig, tönte der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) zu Beginn der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern, die gestern in Erfurt begann. Man könne nicht mehr von »irgendwelchen Einzeltätern« sprechen, sondern habe es mit rechtsextremen Strukturen zu tun, gegen die länderübergreifend zusammengearbeitet werden müsse. Sein sachsen-anhaltinischer Kollege Holger Stahlknecht (CDU) will »Extremismus und Hass im Netz schneller und konsequenter« verfolgen.

Dagegen wäre wenig einzuwenden – außer zweierlei: Zum einen setzen die Minister wenig überraschend auf die alten Rezepte. So forderte Stahlknecht ausdrücklich die Stärkung der Verfassungsschutzämter, die enger miteinander kooperieren und ihre Beobachtungstätigkeit ausweiten sollen. Als hätte sich der Inlandsgeheimdienst nicht schon längst als Teil des Pro­blems erwiesen.

Zum anderen scheint die scharfe Rhetorik gegen Neonazis – jedenfalls teilweise – den Zweck zu erfüllen, vom Staat als rassistischem Akteur abzulenken. Denn über Rassismus bei der Polizei wird bislang nicht geredet – obwohl es dafür genügend aktuelle Anlässe gäbe. Statt dessen steht das neue Berliner Antidiskriminierungsgesetz auf der Tagesordnung. Dieses weitet das Verbot rassistischer Diskriminierung jetzt ausdrücklich auf staatliche Behörden aus. Anstatt das zu begrüßen, phantasieren Polizeigewerkschafter und CDU-Politiker von einem angeblichen Generalangriff auf die Polizei. Er werde »nicht zulassen, dass sich die rechtliche Situation für die Brandenburger Polizisten verschlechtert«, wetterte Innenminister Michael Stübgen (CDU) in Potsdam. Saarlands Innenminister Klaus Bouillon (CDU) verlangt härtere Strafen bei Gewalt gegen Einsatzkräfte, ohne wenigstens auch ein härteres Vorgehen gegen gewalttätige Polizisten einzufordern.

Damit wäre klargestellt, dass Opfer rassistischer Polizeiübergriffe in Deutschland weiterhin kaum eine Lobby haben und dass bei Tätern in Uniform die fatale Rede von »Einzelfällen« gilt, statt über strukturelle Ursachen von Polizeigewalt zu diskutieren. Einzig positiver Lichtblick gestern: Auf der Kundgebung des Flüchtlingsrates Thüringen forderten die Teilnehmer »grenzenlose Solidarität« ein – unter anderem die Aufnahme von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen und eine Auflösung aller Lager.

Ein ernsthaftes Vorgehen gegen Rassismus müsste eine Rücknahme der Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre, eine Streichung der sogenannten anlasslosen Kontrollen aus den Polizeigesetzen und ein Ende flüchtlingsfeindlicher Hetze von den Regierungsbänken aus beinhalten. Ein wichtiges Signal wäre außerdem die Schaffung eines humanitären Bleiberechts für Betroffene rassistischer Gewalt, damit der Staat sich nicht zum Handlanger der rassistischen Täter macht, indem er deren Opfer abschiebt.