100 Jahre Abschiebehaft sind 100 Jahre zu viel!

Grußwort von Ulla Jelpke zur bundesweiten Demo gegen Abschiebehaft in Büren und Paderborn am 31. August 2019

Anrede,

Menschen, die aus ihren Ländern geflohen sind und in Deutschland Schutz gesucht haben, werden massenhaft in Knäste gesteckt. Nicht weil sie Straftaten begangen haben, sondern allein mit dem Ziel, sie außer Landes zu schaffen. Eine solche Politik ist abscheulich, denn Flucht ist kein Verbrechen!

 

Anrede,

die Zahl der Abschiebehaftfälle hat sich zwischen 2015 und 2017 von 1.800 auf über 4.000 mehr als verdoppelt. Anstatt dieses Masseninhaftierungsprogramm zu beenden, hat die Bundesregierung die Haftgründe mit dem Hau-ab-Gesetz noch maßlos ausgeweitet.

Dieses Gesetz sieht zum Beispiel vor: Wer einmalig nicht zu einem Botschaftstermin oder zu einem Arzttermin erschienen ist, um dort seine Reisefähigkeit überprüfen zu lassen, kann bis zu zwei Wochen in sogenannte „Mitwirkungshaft“ genommen werden.

Wer die Ausreisefrist um 30 Tage überschritten hat, nach Meinung der Behörden nicht ausreichend an der eigenen Abschiebung mitwirkt oder angeblich über seine Identität getäuscht hat, kann bis zu zehn Tage in Ausreisegewahrsam genommen werden.

Wenn aus Sicht der Behörden „Fluchtgefahr“ besteht, kann eine bis zu 18-monatige Sicherungshaft verhängt werden. Fluchtgefahr wird in Fällen angenommen, in denen eine Person sich schon einmal der Abschiebung entzogen hat, zu bestimmten Terminen nicht erschienen ist oder angeblich über ihre Identität getäuscht hat. Das bedeutet: Geflüchtete sind künftig selbst in der Pflicht nachzuweisen, dass bei ihnen keine Fluchtgefahr besteht. Das ist doch grotesk!

Darüber hinaus sollen Abschiebehäftlinge künftig auch in normale Knäste gesperrt werden. Das ist klar europarechtswidrig. Dazu gibt es auch eine unmissverständliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Doch auf europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben pfeift diese Bundesregierung, wenn es darum geht, den Druck auf Geflüchtete immer stärker zu erhöhen!

 

Anrede,

all das zeigt: Die gesellschaftliche Rechtsentwicklung führt nicht nur zu mehr rassistischen Angriffen auf der Straße, sondern sie leistet auch einer fortschreitenden Entrechtung von Geflüchteten Vorschub, deren Ausmaß sich viele noch vor einigen Jahren nicht hätten vorstellen können.

Und sie geht mit einer Verrohung des behördlichen Umgangs mit Geflüchteten einher. Das betrifft besonders die Abschiebepolitik. Aus der Praxis wissen wir, dass schwer kranke und suizidgefährdete Menschen kurzerhand aus dem Krankenhaus zur Abschiebung geholt werden und dass Familien rücksichtslos auseinander gerissen werden. Und immer wieder erleben wir, dass Polizeibeamte nicht davor zurückschrecken, brutale Gewalt anzuwenden, um den Widerstand von Geflüchteten gegen ihre Abschiebung in elendste Verhältnisse im Herkunftsland oder in Transitstaaten zu brechen.

Die Brutalisierung der Abschiebepolitik lässt sich auch mit den Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Linksfraktion belegen. Die Zahl der eingesetzten Hilfsmittel der körperlichen Gewalt – Handschellen, Hand- und Fußfesseln, Stahlfesseln, „Bodycuffs“ – bei Abschiebungen hat sich zwischen 2015 und 2018 fast verzehnfacht – auf 1.231 Fälle im Jahr 2018. 2019 war ein weiterer drastischer Anstieg zu verzeichnen: auf 1.289 Fälle in den ersten sechs Monaten.

 

Anrede,

dieser menschenverachtenden Praxis müssen wir uns gemeinsam entgegen stellen. Indem wir uns durch die infamen Drohungen rechter Politiker gegen Flüchtlingsräte und Flüchtlingsunterstützerinnen nicht einschüchtern lassen, sondern weiterhin öffentlich über Abschiebungen informieren und dagegen protestieren. Indem wir Geflüchtete auch weiterhin im Kampf gegen die Abschiebebehörden und für ein Bleiberecht unterstützen.

Lasst uns das Schweigen brechen: über die unmenschlichen Bedingungen, unter denen Menschen in isolierte Lager und Abschiebeknäste gesperrt, von Wachpersonal und Polizisten drangsaliert und unter Einsatz von Gewalt in Transit- oder Herkunftsstaaten abgeschoben werden.

Abschiebehaft abschaffen, Stopp aller Abschiebungen!

Flucht ist kein Verbrechen, Bleiberecht für alle!