Artikel: Regierung will ausbürgern

Geplante Gesetzesänderung zielt nicht nur auf IS-Kämpfer. Auch kurdische Milizionäre wären betroffen

Beitrag von Ulla Jelpke in junge Welt vom 8. März 2019

Die Bundesregierung will deutschen Kämpfern sogenannter Terrormilizen künftig die Staatsbürgerschaft entziehen, wenn sie noch eine weitere besitzen. Diese Forderung wurde innerhalb der Regierungskoalition bereits seit 2014 diskutiert. Damals zogen aus Deutschland Hunderte Dschihadisten nach Syrien, um sich dem »Islamischen Staat« (IS) anzuschließen. »Wir werden einen neuen Verlusttatbestand in das Staatsangehörigkeitsgesetz einfügen, wonach Deutsche, die eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können, wenn ihnen die konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland nachgewiesen werden kann«, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD vom Frühjahr 2018.Aus dem CSU-geführten Bundesinnenministerium kam dazu ein Gesetzentwurf, den Justizministerin Katarina Barley (SPD) nach Ansicht von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verschleppt hat. Doch nun haben sich Barley und Bundesinnenminister Horst Seehofer geeinigt, berichteten zuerst die Süddeutsche Zeitung sowie die Sender WDR und NDR am Montag unter Berufung auf Regierungskreise. Der Kompromiss sieht demnach vor, dass Personen nur dann ausgebürgert werden können, wenn sie volljährig und im Besitz einer zweiten Staatsbürgerschaft sind, um nicht staatenlos zu werden. Zudem soll die Regelung nicht rückwirkend etwa für die bereits jetzt in Syrien und dem Irak in Gefangenschaft befindlichen IS-Angehörigen gelten, sondern nur für Personen, die sich auch zukünftig an Kämpfen beteiligen werden.

Geplant ist eine Ergänzung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG). Dieses sieht bereits jetzt in den Paragraphen 17 und 28 den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für eine Person vor, die »auf Grund freiwilliger Verpflichtung ohne eine Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung oder der von ihm bezeichneten Stelle in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, eintritt«. Die Begriffe »Streitkräfte« und »vergleichbare Verbände« im StAG beziehen sich von ihrem Verständnis her grundsätzlich auf Einheiten eines völkerrechtlich anerkannten Staates, hatte das Bundesinnenministerium selbst 2015 in einem Bericht für die Innenministerkonferenz festgestellt. Denn es gehe nicht darum, allgemein die Tätigkeit als Söldner in fremden Diensten zu sanktionieren, sondern nur jene Fälle, in denen damit zugleich auch die Hinwendung zum Land der anderen Staatsangehörigkeit verbunden sei. Ein Staat im völkerrechtlichen Sinne ist der IS trotz seiner Selbstbezeichnung allerdings nicht. So soll das Gesetz nun auf Angehörige eines »paramilitärisch organisierten bewaffneten Verbandes« ausgedehnt werden. Früheren Entwürfen aus dem Innenministerium ist zu entnehmen, dass es um eine Erweiterung des Gesetzes auf Personen geht, die sich eingliedern »in organisierte bewaffnete Gruppierungen, die nicht den regulären Streitkräften eines Staates zuzuordnen sind«. Das aber würde mitnichten nur die Dschihadisten des IS und der Al-Qaida betreffen. Beispielsweise könnten dann auch Deutschkurden, die in Syrien in den Reihen der YPG oder im Irak bei den Peschmerga gegen den IS kämpfen, oder Deutschrussen, die sich in der Ukraine an der Verteidigung der Donezker Volksrepublik beteiligen, ihren deutschen Pass verlieren.

In der CSU stößt der Kompromiss zwischen Innen- und Justizministerium derweil auf Kritik. Die Beschränkung auf zukünftige Fälle sei falsch, meint etwa die Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Andrea Lindholz im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Die CSU-Politikerin hält einen rückwirkenden Entzug der Staatsbürgerschaft bei Doppelstaatlern für grundsätzlich zulässig.

Auch ohne eine solche Aushebelung des Rückwirkungsverbots als einem der Fundamente der Rechtsstaatlichkeit erscheinen die Pläne der Bundesregierung verfassungswidrig. Denn es handelt sich mitnichten nur um einen durch das Grundgesetz in Ausnahmefällen gedeckten Verlust der Staatsbürgerschaft. Vielmehr soll der Entzug der Staatsbürgerschaft als sicherheitspolitische Maßnahme und Strafe dienen. Das aber schließt Artikel 16 Grundgesetz als Lehre aus dem Faschismus aus.

 

Türöffner für Rechtsaußenpolitiker

AfD zielt auf Revision des Staatsbürgerschaftsrechts. Schützenhilfe von Unionsjuristen

Von Ulla Jelpke

Zu den Kritikern des Kompromisses zwischen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) bezüglich der Ausbürgerung von Angehörigen ausländischer Milizen gehört auch Hans-Georg Maaßen. Der nach seinen verharmlosenden Äußerungen bezüglich der Chemnitzer Neonazirandale im vergangenen Herbst von Seehofer auf öffentlichen Druck in den Ruhestand geschickte Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sieht in der Einigung »ein weiteres Zeugnis des Versagens der SPD in der Sicherheitspolitik«. »Mangels Rückwirkungsmöglichkeit wird diese Regelung, die vor Jahren hätte kommen müssen, weitgehend ins Leere laufen«, erklärte Maaßen gegenüber Bild vom Dienstag.

Wäre Maaßens Rechtsauffassung die vorherrschende, dann müsste sich die Bundesregierung gar keine Gedanken über eine Gesetzesänderung machen. Denn der Jurist mit CDU-Parteibuch vertritt schon lange die unter Juristen als Minderheitenmeinung gehandelte Auffassung, Paragraph 28 des Staatsangehörigkeitsgesetzes sei bereits jetzt beim Anschluss an nichtstaatliche Kampfverbände anwendbar. So schrieb Maaßen in der im Jahr 2010 erschienenen fünften Auflage des von ihm mitherausgegebenen und als Standardwerk geltenden Kommentars des Beck-Verlags zum Staatsangehörigkeitsrecht, es könne für den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft »ausreichend sein«, wenn sich ein Doppelstaatler einer Bürgerkriegspartei in einem zerfallenden Staat anschließe. In einem 2011 in der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik erschienen Aufsatz nannte Maaßen diesbezüglich das fiktive Beispiel eines Deutsch-Afghanen, der sich den Taliban anschließt. Schützenhilfe erhält die von Maaßen vertretene Position durch Exverteidigungsminister und Staatsrechtler Rupert Scholz (CDU). Auch dieser ist der Überzeugung, dass der Entzug des deutschen Passes »schon jetzt möglich« sei. »Wenn Terrorismus in der Form organisiert wird, wie es im Falle des IS geschehen ist, haben wir eine militärische Konfliktlage, wie sie in den Paragraphen 17 und 28 beschrieben wird«, erklärte Scholz in einem am 5. März 2019 vom Magazin Cicero veröffentlichten Interview. Nötig sei allerdings die Ergänzung des Gesetzes um einen Passus, wonach, »die Terrormiliz des IS mit ausländischen Streitkräften gleichgestellt wird«. Die AfD geht derweil noch weiter. In ihrem Programm fordert die völkisch-nationalistische Partei »die Ausbürgerung krimineller Staatsbürger mit Migrationshintergrund«. Dies solle geschehen bei erheblicher Kriminalität innerhalb von zehn Jahren nach erfolgter Einbürgerung, bei Mitwirkung in Terrororganisationen und bei Zugehörigkeit zu kriminellen Clans. Eine Ausbürgerung müsse auch dann erfolgen, wenn die Betroffenen dadurch staatenlos werden.

Letzteres geht CDU-Staatsrechtler Scholz dann doch zu weit. Auch die Ausbürgerung von Ladendieben hält er für »unverhältnismäßig«. Doch man müsse »sich mit solchen Fragen auseinandersetzen«, meint er auf die Cicero-Frage, ob die Bundesregierung gut beraten sei, in dasselbe Horn wie die AfD zu stoßen. »Die Nähe zur AfD ist noch kein Manko. Die Partei kann ja auch mal recht haben.« Die im Namen der Terrorbekämpfung geplante Gesetzesänderung der Bundesregierung wird am rechten Flügel der Union als Türöffner für weitergehende Angriffe auf das Staatsangehörigkeitsrecht gemäß der Grundhaltung nationalkonservativer und offen neonazistischer Kreise begriffen. Dass eine SPD-Justizministerin als Steigbügelhalterin solcher Bestrebungen fungiert, ist erschreckend, doch angesichts des Zustandes der Sozialdemokratie nicht weiter verwunderlich.

 

Lehren der Geschichte

Artikel 16 des Grundgesetzes ist unmissverständlich: »Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.« Der Entzug des Passes dürfe nie wieder als Instrument der Bestrafung missbraucht werden. Diese Maxime galt den Müttern und Vätern des Grundgesetzes 1948 als Lehre aus den Erfahrungen der Nazizeit. Ein von der Entziehung der Staatsbürgerschaft zu unterscheidender Verlust derselbigen dürfe nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird, heißt es allerdings einschränkend in Artikel 16. Am 14. Juli 1933 erließ das Naziregime das »Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft«. Damit konnten zum einen nach der Novemberrevolution von 1918 erfolgte Einbürgerungen von nunmehr politisch als unerwünscht geltende Personen rückgängig gemacht oder eingewanderte osteuropäische Juden des Landes verwiesen werden. Und es konnten Reichsdeutsche, die sich im Ausland aufhielten, ausgebürgert und ihr Vermögen eingezogen werden, wenn diese durch ihr Verhalten »deutsche Belange geschädigt haben« und »gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk« verstießen oder einer Aufforderung zur Rückkehr nicht nachkamen.

Eine erste Ausbürgerungsliste vom 25. August 1933 enthielt die Namen von 33 im Exil lebenden prominenten Antifaschisten, darunter Kommunisten wie Wilhelm Pieck und Willi Münzenberg, Sozialdemokraten wie Rudolf Breitscheid und Otto Wels und die Schriftsteller Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger. Anfangs diente das Gesetz vor allem dazu, im Ausland lebende Reichsdeutsche zu politischem Wohlverhalten im Sinne der neuen Machthaber zu nötigen. Später wurde es dann ein Instrument zur Ausplünderung von Juden, die aus Deutschland geflohen waren und außer ihrer Staatsbürgerschaft auch ihr zurückgelassenes Eigentum verloren. (uj)