Zeit des Wolfes

Björn Höcke erhofft den nationalistischen Umsturz und baut auf Teile des Sicherheitsapparates

Artikel von Ulla Jelpke in junge Welt vom 1.9.2018

Der AfD-Landesvorsitzende Thüringens, Björn Höcke, ist einer der drei Aufrufer zum Großaufmarsch an diesem Sonnabend in Chemnitz. Innerhalb seiner Partei gilt Höcke als Kopf des offen völkischen »Flügels«. Kürzlich beschloss der Parteivorstand einstimmig, gegen den Rechtsaußen der Rechtsaußenpartei nicht weiter mit einem Parteiausschlussverfahren vorzugehen. Zu einem solchen Ausschlussverfahren hatte nach eidesstattlichen Angaben der AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber noch im Jahr 2016 Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry geraten, um die Partei nicht der Überwachung durch den Geheimdienst auszusetzen. Innerparteilich wieder fest im Sattel sitzend, legte Höcke im Juni im Manuscriptum-Verlag sein Buch »Nie zweimal in denselben Fluss« vor. Das rund 300seitige Interview, mit dem der sich von den Medien missverstanden wähnende frühere Geschichtslehrer den »wahren Höcke« vorstellen will, liest sich als geschichtsphilosophische Anleitung zum faschistischen Umsturz. Der Soziologe Andreas Kemper spricht in diesem Zusammenhang in der neuen Ausgabe der Zeitschrift Graswurzelrevolution vom »völkischen Machiavellismus« Höckes, der offen von der Notwendigkeit einer »wohltemperierten Grausamkeit« als Mittel der Politik schwadroniert und moralische Maßstäbe ablehnt.

Anstelle einer sogenannten Neuen Weltordnung – ein bei Rechten antisemitisch konnotierter Begriff, der von einer geheimen Weltregierung ausgeht – strebt Höcke bei seinen geopolitischen Überlegungen eine Aufteilung in vermeintlich kulturidentische Großräume an. Unter Berufung auf den Nazikronjuristen Carl Schmitt tritt er dabei für ein »Interventionsverbot raumfremder Mächte« ein, das er noch in offenbar gänzlicher Unkenntnis ökonomischer Prozesse um ein »Investitionsverbot raumfremden Kapitals« und ein »Migrationsverbot raumfremder Bevölkerungen« erweitert. Der Islam soll als »raumfremd« aus Europa verdrängt werden – Deutschland sei anschließend eine gute Zusammenarbeit mit den islamischen Mächten möglich, wie schon zu Zeiten des Deutschen Kaiserreichs und des Osmanischen Reichs.

Aufbauend auf Machiavelli und den antiken griechischen Philosophen Polybios geht Höcke von einem ewigen Kreislauf von Allein- und Volksherrschaften aus. Nur ein »Uomo virtuoso« – so Höckes von Machiavelli übernommene Bezeichnung eines diktatorischen Führers – könne »als alleiniger Inhaber der Staatsmacht ein zerrüttetes Gemeinwesen wieder in Ordnung bringen«. Und als solches wähnt Höcke die gegenwärtige, »im letzten Degenerationsstadium« der Demokratie befindliche Ordnung. Träger der von Höcke erhofften »Renovation« ist eine aus drei »Fronten« bestehende »Volksopposition«.

Die erste dieser Fronten sieht Höcke in der AfD mit ihrem Parteiapparat und ihren parlamentarischen Vertretungen. Die zweite Front sei die »patriotische Bewegung« auf der Straße, gemeint sind damit Strömungen wie Pegida. Dazu kommt eine dritte »Front aus frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates (…), die die Wahnsinnspolitik der Regierenden ausbaden müssen und auf das Remonstrationsrecht zurückgreifen können«. Gemeint ist das beamtenrechtlich geregelte Recht eines Beamten, eine Einwendung gegen eine Weisung seines Vorgesetzten zu erheben, »deren Befolgung aber nach seiner Befürchtung oder gar Überzeugung die dienstliche Handlung rechtswidrig machen würde«. Entsprechend hat Höcke mehrfach auf Demonstrationen dazu aufgerufen, sich den Befehlen von Vorgesetzten zu widersetzen.

Nun sei »die Zeit des Wolfes« gekommen, drohte Höcke beim sogenannten Kyffhäusertreffen im Juni. Sollte eine AfD-Demonstration blockiert werden, bekäme die Polizei fünf Minuten Zeit zum Räumen der Blockade, ansonsten würden Tausende Patrioten im Rücken der Gegendemonstranten auftauchen. Bundespolizisten drohte Höcke offen damit, dass sie nach der Machtübernahme »des Volkes« zur Rechenschaft gezogen würden. In der Tat scheint die AfD zu einem Hort für Teile des Sicherheitsapparates geworden zu sein. Deutlich wird dies nicht nur an der offenbar fürsorglichen Beratung durch den Verfassungsschutzchef, sondern auch an der Zusammensetzung der Bundestagsfraktion. Rund ein Drittel der Abgeordneten haben nach Recherchen der Taz etwa über ihre früheren Berufe als Richter, Staatsanwälte, Polizisten oder Soldaten enge Verbindungen zu Polizei, Bundeswehr oder Justiz.