Demokratieabbau und Rechtsschwenk

Demokratieabbau und Rechtsschwenk

 

Ausbau der Befugnisse für Polizei und Geheimdienste, Rücknahme von Rechten vor allem der Flüchtlinge – das ist die Leitlinie der »großen Koalition« in spe für die Innenpolitik der kommenden Jahre. Mit den Festlegungen im Koalitionsvertrag wird der bisherige Kurs nicht nur fortgeführt, sondern weiter verschärft.

Eigens für CSU-Chef Horst Seehofer wurde das Bundesministerium des Innern um das Ressort »Heimat« erweitert. Es steht zu erwarten, dass Seehofer den Heimatbegriff keineswegs nur in dem einfachen Sinn versteht, dass Heimat dort ist, wo Leute nun einmal zu Hause sind, sondern vielmehr in seinem ausgrenzenden Sinn: Als Mittel, um zwischen einem imaginierten »uns« und einem behaupteten »die Anderen« zu trennen und zu polarisieren. Denn der CSU-Chef war stets einer der Vorkämpfer in der Debatte um eine sogenannte deutsche Leitkultur, unter nationalistischen Vorzeichen: »Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein – Multikulti ist tot«, tönte Seehofer etwa 2010 auf dem Deutschlandtag der Jungen Union. Als vermeintlicher Antipode zur Leitkultur wurden Muslime ausgemacht: »Es ist doch klar«, so sagte der bayerische Ministerpräsident damals dem Magazin Focus, »dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun«. Daraus ziehe er »auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen.« Vor dem CSU-Parteitag im Jahr 2016 wetterte Seehofer gegen »übersteigerte Toleranz in westlichen Gesellschaften«, weil dies den »politischen Islam« fördere. Kein Wunder, dass Seehofer auf dem Höhepunkt der Zuwanderung von Flüchtlingen 2015/16 schäumte: »Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung«, es sei vielmehr »eine Herrschaft des Unrechts«. Was Seehofer nun nicht daran hindert, in das Kabinett von »Unrechts«-Kanzlerin Merkel einzutreten.

Ist mit der Übernahme des Innenressorts personell dafür gesorgt, dass in der Innenpolitik ein schärferer Ton angeschlagen wird, zieht sich inhaltlich durch den Koalitionsvertrag weitgehend das Motto »Weiter so«. Die unter der abgewählten Koalition ausgegebene Richtung wird fortgesetzt. Am deutlichsten bekommen das die Asylsuchenden zu spüren, deren Schikanierung durch die Einrichtung von Quasi-Internierungslagern deutlich ausgebaut werden soll. Überhaupt ist die Flüchtlingspolitik dasjenige Feld, in dem die Union am stärksten mit der AfD wetteifert. Deswegen findet sich auch die von der CSU vorgesehene »Obergrenze« im Koalitionsvertrag, die mit der Spanne von 180.000 bis 220.000 Flüchtlingen angegeben wird – wenn auch nicht als verbindliche Marge, sondern als angeblich zu erwartender Durchschnittswert. Dass sich die Union von der AfD getrieben sieht, war auch schon in der Debatte um syrische Flüchtlinge zu bemerken: Kaum hatte die AfD im November 2017 gefordert, mit Syriens Machthaber Assad ein Rückkehrabkommen aufzusetzen, beantragten die amtierenden Innenminister der unionsgeführten Länder, den Abschiebestopp nach Syrien zu lockern. Was Rechtspopulisten und extrem Rechte mit der Parole »Verteidigung des Abendlandes« fordern, ist für die CSU der Kampf für ihr reaktionäres Heimatverständnis. Denn Leitlinie der CSU – und weitgehend auch der CDU – ist schon lange: Rechts von ihr dürfe es keine relevante politische Kraft geben. Deswegen versucht sie, durch eigene asylfeindliche und nationalkonservative Politik der AfD das Wasser abzugraben. Ob diese Rechnung aufgeht oder die AfD erst recht stärkt, kann fast dahingestellt bleiben – für die Demokratie ist das auf jeden Fall desaströs.

Internierung von Flüchtlingen

Besonders drastisch sind die vereinbarten Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik. Asylverfahren sollen künftig ausnahmslos in Lagern mit der euphemistischen Bezeichnung »Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungszentren« (Anker) stattfinden. Bis zu 18 Monaten sollen die Flüchtlinge darin bleiben, bis ihnen entweder eine »günstige Bleibeprognose« bescheinigt wird oder sie abgeschoben werden. Bis dahin unterliegen sie einer Residenzpflicht und einem Arbeitsverbot. Die Liste der angeblich »sicheren Herkunftsländer« soll künftig flexibel werden: Sobald die Anerkennungsquote für ein Land regelmäßig unter fünf Prozent liegt, soll es als »sicher« gelten. Antragsteller von dort werden dann von vornherein als »Asylbetrüger« eingeschätzt, was wiederum die Anerkennungsquote weiter nach unten drückt – eine Art selbsterfüllende Prophezeiung, die mit dem Gebot zur unvoreingenommenen individuellen Prüfung nichts zu tun hat.

Dem formellen Bekenntnis zum Grundrecht auf Asyl und dem Völkerrecht folgt der einschränkende Hinweis, die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft dürfe »nicht überfordert werden.« Das bleibt nicht nur nebulös, sondern geradezu gefährlich, weil es ausgerechnet den Flüchtlingen die Schuld zuschiebt an Missständen in Schulen, Kitas und im Wohnungsbereich. Diese existierten bekanntlich schon früher, ohne dass die Bundesregierung Anstalten zu ihrer Lösung machte. Und nun werden sie als Argument genutzt, um die sozial Schwachen in Deutschland gegeneinander auszuspielen.

Die Verabredung zur »Obergrenze« – eine Spanne von 180.000 bis 220.000 Flüchtlingen pro Jahr – bedeutet: Wie viele aus humanitären Gründen nach Deutschland kommen dürfen, hängt davon ab, wie viele Erstantragsteller in einem Jahr schon gekommen sind. Humanität wird auf eine simple Rechengröße reduziert. Das Recht auf Familiennachzug für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus wurde bis auf ein Gnadenkontingent von 1.000 Menschen monatlich schon abgeschafft.

Der Koalitionsvertrag enthält außerdem ein Bekenntnis zur Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik, die weitere, massive Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl vorsieht. So zielt die Debatte auf EU-Ebene dahin, Asylverfahren an den Außengrenzen abzuwickeln, also etwa in Nordafrika. In Staaten südlich der Sahara sind Transitzentren angedacht, um Flüchtlinge vorzusortieren. Wer auf seinem Fluchtweg ein sogenanntes sicheres Drittland passiert, soll dorthin zurückgeschickt werden – aus Sicht der EU-Kommission gilt selbst die Türkei als sicher, ebenso wie jedes beliebige Bürgerkriegsland, solange es darin noch ein »sicheres Gebiet« gibt. Die Mär von solchen sicheren Zonen erzählt die Bundesregierung ohne Unterlass auch hinsichtlich Afghanistan. (uj)

Pakt gegen Bürgerrechte

Details im Koalitionsvertrag: Bürgerkriegsgerät für die Polizei, weniger Datenschutz für Bevölkerung

 

Einen »Pakt für Bürgerrechte« kündigen Union und SPD an – über weite Strecken zeigt sich der Koalitionsvertrag allerdings uninspiriert und beschränkt sich darauf, Prozesse zu beschreiben, die ohnehin schon im Gang sind. Etwa wenn davon die Rede ist, das Bundeskriminalamt (BKA) zum »zentralen Datenhaus« der deutschen Polizeibehörden zu machen – was schon seit Verabschiedung des BKA-Gesetzes im vorigen Jahr geltende Beschlusslage ist. Auch die Ausweitung der Videoüberwachung »an Brennpunkten« gehört zum Repertoire der Bundesregierung, ebenso das Bekenntnis, das Pilotprojekt zur automatischen Gesichtserkennung auszuwerten.

An manchen Stellen verlegen sich CDU/CSU und SPD sogar aufs reine Beobachten jenseits der Bundeszuständigkeit, etwa wenn ein deutlicher Personalaufbau für Justiz und Länderpolizeien versprochen wird. Überlegungen, woher das Personal für mehr Polizei kommen soll, oder wie vorhandenen Personalengpässen durch die Abschaffung obsoleter Straftatbestände begegnet werden könnte, fehlen allerdings. Die Entkriminalisierung von Rauschmitteln oder die Abschaffung von Straftatbeständen wie »illegaler Einreise« und »Schwarzfahren« von Flüchtlingen ist nicht vorgesehen.

Die Koalitionäre streben ein »Musterpolizeigesetz« an, das die Polizeibefugnisse in Bund und Ländern angleichen soll. Als Maßstab dafür dürfte Seehofer das Polizeigesetz nehmen, das dieser Tage im Bayerischen Landtag debattiert wird und der Polizei weitreichende Vollmachten für Videoüberwachung, Vorbeugegewahrsam und Aufenthaltsverbote bzw. -gebote für sogenannte Gefährder verleiht.

Rufe aus Sicherheitskreisen, schwere Waffen für die Polizei anzuschaffen – Maschinenpistolen und gepanzerte Fahrzeuge – spiegeln sich in der Absichtserklärung, die Bereitschaftspolizeien der Länder verstärkt mit Bundesmitteln aufzurüsten. Offenbar unter dem Eindruck des G-20-Gipfels soll die Polizei für bürgerkriegsähnliche Einsätze gegen soziale Protestbewegungen fitgemacht werden.

Kontinuität zur bisherigen Linie, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden auszuweiten, ist auch in Hinblick auf den Verfassungsschutz angesagt: Das Bundesamt soll in seiner »Steuerungsfunktion« gestärkt und zum zentralen Abhördienstleister ausgebaut werden. Die Reise geht insgesamt weg vom Föderalismus zu mehr Zentralstaatlichkeit.

Unter bürgerrechtlichen Gesichtspunkten besonders bedenklich sind die Pläne zur künftigen Arbeit der sogenannten Gemeinsamen Zentren, in denen Polizei- und Geheimdienstvertreter aus Bund und Ländern seit Jahren insbesondere im Kampf gegen »islamistischen Terrorismus« zusammensitzen. Künftig, so haben es die Unionsparteien und die SPD vereinbart, soll die Zusammenarbeit noch intensiver werden, damit »Informationen reibungsloser ausgetauscht und verbindliche Absprachen« getroffen werden. Das verfassungsrechtliche Problem verschärft sich dadurch, denn diese institutionalisierte Kooperation verstößt dauerhaft gegen das Trennungsgebot von polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit. Die Gemeinsamen Zentren haben noch nicht einmal eine gesetzliche Grundlage – deswegen gibt es auch weder parlamentarische Kontrolle noch einen Datenschutzbeauftragten.

Ähnlich wird auf EU-Ebene vorgegangen: Die Koalition kündigt an, die Sicherheitskooperation zu »verbessern und vertiefen«, dazu gehöre eine »effektive Vernetzung und Verbesserung der für die Sicherheitsbehörden relevanten Datenbanken«. Dabei geht es letztlich um einen EU-weiten Pool polizeilicher Dateien. Während damit die Möglichkeiten zur Erfassung und Beobachtung der Bürger ausgeweitet werden, fehlt jede Absicht, den Datenschutz in gleichem Umfang nachzubessern. Europa wird nicht demokratisiert, sondern verpolizeilicht.

Der Koalitionsvertrag kündigt an, Präventionsprogramme gegen antidemokratische Bestrebungen (»Extremismus« im Jargon der Koalition) auszuweiten, besonders im Kampf gegen islamischen Dschihadismus. Konkrete Summen und Maßnahmen werden hier allerdings nicht genannt. Ansonsten wird zwar markig angekündigt: »Wir werden den radikalen Islam in Deutschland zurückdrängen«, unterlegt wird das dann aber nur mit repressiven Maßnahmen gegen Moscheegemeinden. »Wir erwarten, dass Imame aus dem Ausland deutsch sprechen«, heißt es, als ob islamistische Hetze eine Frage der Sprache sei.