Rede: Anlasslose Widerrufsprüfungen im Asylverfahren abschaffen!

Rede zu TOP 15 der 61. Sitzung des Deutschen Bundestages,

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes Drucksachen 19/4456, 19/4548

 

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Gesetzentwurf will die Bundesregierung eine neue Mitwirkungspflicht für anerkannte – ich betone noch mal: anerkannte – Flüchtlinge im Widerrufsverfahren schaffen. Das ist in der Tat das Gegenteil dessen, was die Linke seit vielen Jahren fordert. Wir wollen nämlich die Abschaffung der anlasslosen – ich betone noch mal: anlasslosen – Regelüberprüfung nach drei Jahren. Das ist übrigens innerhalb der EU nur in Deutschland und in Österreich so.

Meine Damen und Herren, bereits jetzt ist es so, dass drei Jahre nach der Zuerkennung eines Schutzstatus geprüft wird, ob die Asylgründe fortbestehen,

(Sebastian Brehm (CDU/CSU): Richtig!)

und zwar ohne konkreten Anlass. Das halten wir insgesamt für einen bürokratischen Aufwand, der sich eher für qualifizierte Arbeit und die Qualifizierung im BAMF lohnen würde.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Lindh, ich will Ihnen das gerne anhand einiger Zahlen noch einmal erläutern. Bei 43 000 Entscheidungen im Widerrufsverfahren im ersten Halbjahr 2018 wurde in 99,3 Prozent der Fälle der Schutzstatus bestätigt. Ganz ähnlich sieht die bisherige Bilanz aus, wenn es um die vorgezogenen Widerspruchsprüfungen geht, die sich vor allem auf rein schriftliche Anerkennungsverfahren beziehen. Auch hier hatten nur 1,2 Prozent der bislang überprüften 11 000 Anerkennungsbescheide einen Widerruf oder eine Rücknahme zur Folge. Wie viele Entscheidungen einer gerichtlichen Überprüfung standhalten, wird sich noch zeigen.

Neu ist, dass Flüchtlinge künftig zur sogenannten Mitwirkung verpflichtet werden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU): Sehr gut!)

Wer nicht mitwirkt, soll bestraft werden, bis hin zur Aberkennung des Schutzstatus. Angesichts dessen, dass die allermeisten den Schutzstatus besitzen, ist das doch reine Schikane den Betroffenen gegenüber.

Zwei ganz reale Effekte haben die Widerspruchsprüfungen aber schon. Bei den betroffenen Flüchtlingen und ihren Familien führen sie zu enormen Verunsicherungen. Dabei ist eine Aufenthaltsperspektive eine ganz wichtige Voraussetzung für den Heilungserfolg beispielsweise bei traumatisierten Menschen. Das haben im Übrigen auch viele Sachverständige am Montag betont. Außerdem binden die anlasslosen Widerrufsprüfungen enorme Kapazitäten im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Anstatt mit diesem Unsinn aufzuhören, will die Bundesregierung die Überprüfung sogar noch intensivieren. In ihrem Gesetzentwurf kündigt die Bundesregierung für 2018/2019 insgesamt 500 000 Widerrufsprüfungen an. Bis 2020 sollen es fast 800 000 sein. Es drohen also erneut 100 000-fach sinnlose Verhöre von Schutzsuchenden durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Der Präsident, Herr Sommer, übrigens hat in der Anhörung selbst gesagt, dass das Amt in den nächsten Jahren hauptsächlich mit Widerrufsverfahren beschäftigt sein wird. Selbst er hat vorgeschlagen, wenigstens die Zeit bis zu einer Überprüfung auf fünf Jahre zu verlängern.

Die Konsequenzen sind absehbar. Die Überforderung des BAMF wird wieder zulasten der Qualität der Bescheide gehen. Die Schutzsuchenden sind die Leidtragenden. Deshalb will Die Linke, dass die anlasslosen Widerrufsprüfungen ersatzlos abgeschafft werden. Wenn es einen Anlass gibt, kann jederzeit eine Prüfung durchgeführt werden. Aber das wird hier einfach so vom Tisch gewischt. Hat sich zum Beispiel die Lage im Herkunftsland verändert, oder gibt es tatsächlich Anlässe wie bei Anis Amri? Dann wird in der Tat genau geprüft.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss. – Herr Seif, es lag im Fall Anis Amri an ganz anderen Fehlern als am Verfahren. Wir reden heute aber über das Verfahren. Polizeiliche, Verfassungsschutzfehler wurden gemacht. Das wissen Sie selber ganz genau.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU): Was? Polizeilicher Verfassungsschutz? Wie geht denn das? Das verstehe ich überhaupt nicht!)