„Verknackt“ zum Rumhängen

Besuch der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke in der Zentralen Unterbringungseinheit (ZUE) in Ibbenbüren

 

Ein Beitrag von Maria Frank, Fraktionsvorsitzende der Partei DIE LINKE. im Rat der Stadt Ibbenbüren.

 

Einige Tage vor dem „Tag der Menschenrechte“ war der Besuch der Bundestagsabgeordneten  und Innenpolitischen Sprecherin Ulla Jelpke in der ZUE terminiert. Sie vertritt u.a. die Schwerpunkte: Migrations- und Flüchtlingspolitik, Antifaschismus und Menschenrechte. Begleitet wurde Ulla Jelpke von den beiden Fraktionsvorsitzenden der Partei DIE LINKE. im Rat der Stadt Ibbenbüren: Maria Frank und Ernst Goldbeck, und von Vertretern der Kreisebene der Partei. Erfreulich auch, dass das Bleiberechtsnetzwerk Kreis Steinfurt vertreten war durch Norbert Eilinghoff.

Die Bleiberechtsinitiative beobachtet kritisch in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsrat NRW die Entwicklungen in den dem Land NRW zugeordneten ZUEen, v.a. in den 30a-Einrichtungen. Rund 2/3 der dort lebenden Menschen haben eine sehr geringe Bleibeperspektive. In Ibbenbüren ist die doppelte Belegung nach Ausbau und Renovierung angestrebt. 960 Asylbewerber in einem Containerdorf, die Mehrheit mit geringer Bleibeperspektive!

Sie werden „zwangsversorgt“. Das Essen: zwei Varianten: mit und ohne Fleisch. Vollwertig ist was anderes. Akute gesundheitliche Störungen werden von niedergelassenen Ärzten behandelt oder direkt in der ZUE. Da gehört aber offensichtlich vieles, was für uns selbstverständlich wäre, nicht dazu. Beispiele: das Kind weint des nachts, weil es Ohrenschmerzen hat. Der vom Allgemeinarzt empfohlene Gang zum Ohrenarzt hat aber auch nach 5 Wochen noch nicht stattgefunden. Ein Mann ist fast erblindet, aber der eher einfache ärztliche Eingriff findet nicht statt. Das versteht außerhalb der ZUE niemand.

Die Zentrale Unterbringungseinheit in Ibbenbüren liegt im Schatten des Kohlekraftwerks. Abgelegen. Außerhalb der Stadt. Ein Containerdorf am Schwarzen Weg. Es hat eigene Gesetze. Die meisten in der ZUE lebenden Flüchtlinge täten sicher nichts lieber als lernen, kochen, arbeiten, Fahrräder reparieren, einkaufen, eben Alltag leben und organisieren. Aber, sie sind „verknackt“ zum Rumhängen. Sie leben in Ibbenbüren, aber gesellschaftliche Teilhabe soll verhindert werden. Es wird für sie Essen ausgeteilt, geputzt, gewaschen, und das Lager wird bewacht.

Von den 430 Menschen sind 150 Kinder. Schulpflicht gibt es hier nicht. Zwar sind inzwischen wenige handverlesene Ehrenamtliche im Camp zugelassen, aber die ersetzen beim besten Willen keine Schul-ähnliche Wissensvermittlung. Denn weder die Ehrenamtlichen noch unsere regulären Schulen können und könnten das schultern. Nicht ohne zusätzliches Geld für Raum, Ausstattung, Fachpersonal. Letzteres bräuchte spezielle Aus- und Fortbildungen, es müssen Fachleute her. Wir haben hier extrem heterogene Lerngruppen: Alter, Nationalität, Lern-Voraussetzungen und einiges mehr.

Das Argument, die meisten würden eh innerhalb kürzester Zeit ausgewiesen oder den Kommunen zugewiesen, stimmt nicht. Viele sind Monate dort. Demnächst sollen sie bis zu 24 Monate  verbleiben „dürfen“. Wenn ihr Verfahren bis dann nicht abgeschlossen ist, werden sie womöglich in die nächste ZUE verlegt. Der Landrat und die 24 Bürgermeister*innen haben sich in einem Brief an den Minister Stamp für diese Art der Unterbringung stark gemacht.* Ich vermute, dass mehrere von ihnen nicht wussten, was sie da guten Glaubens unterschrieben haben. Die Zahl der Neuankommenden geht zurück, die Plätze in Landesunterkünften werden vermehrt. Man könnte den Eindruck haben, die Übergriffe auf Geflohene kämen längst häufiger von Oben als von Unten. Ich kenne jemanden, der Angst davor hatte, der ZUE Ibbenbüren zugewiesen zu werden.

Es bleibt dabei: die verantwortliche Politik und die vorgegebenen Strukturen sind anzugreifen. Das sagen wir seit längerem und haben es vor Ort in der ZUE sehr deutlich übermittelt. Aber in keiner Weise kritisieren wir die Arbeit des Personals, welches die verschiedenen Dienstleistungen dort abdeckt. Die Mitarbeiter*innen dort stecken in einem Dilemma. Sie machen wahrscheinlich mehr, als ihr Dienstplan verlangt. Aber sie bleiben durch die Vorgaben, die mangelnden Informationen, die beschränkten Bedingungen geknebelt. Eine schwierige Aufgabe. Das wurde von der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke und den anderen Besuchern am 05.12.2017 so gesehen und formuliert. Die Grundbedingungen sind falsch. Das war auch die Ursache dafür, dass auf unserer Seite keine Freude aufkommen wollte bei der Besichtigung der farbigen, neu aufgestellten Container-Bauten: Sie verändern nichts an den Grundbedingungen.

Menschenrechte gelten für alle, auch für Flüchtlinge in den ZUEen – dies eigentlich Selbstverständliche gilt es immer wieder zu betonen, schreibt auch Julia Scheurer vom Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen e.V., dabei müsse der Blick nicht bis ins Ausland geworfen werden: auch in Nordrhein-Westfalen werden Menschenrechte systematisch verletzt.

 

Maria Frank

 

*1  Kreis Steinfurt: Landrats- und Bürgermeisterinnen-Brief an den Integrations-Minister Stamp (NRW) vom 19.09.2017

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Nachtrag in Sachen Sarkasmus:

–  Besuch im Lebensraum Container: wird nicht gestattet. Die Bewohner haben zwar nichts dagegen, aber die seien unterwürfig o.ä. Zu Ratsleuten habe er gesagt, wenn sie die Flüchtlinge in ihre Häuser ließen, könnten sie umgekehrt auch deren Container betreten. Die zwei anwesenden Ratsmitglieder hatten zwar nichts dagegen, aber es waren wohl die falschen?!

–  Familien zur Deeskalation: sie dienen zur Minderung des Auslebens extremer Aggressionen. Deshalb wird ein möglichst hoher Anteil an Familien angestrebt.

–  Schulbesuch und Teilhabe würde das Leid der Kinder erhöhen, wenn sie fortgehen müssten. Soziale Kontakte würden dann zerstört. Das wird ihnen erspart.

–  Krankenhaus: es seien immer wieder Geflüchtete dort. Sie würden dort auch besucht und versorgt. Die Frage, ob derzeit jemand dort sei, beantwortet: eine Hochschwangere, eine gerade Entbundene mit Säugling.

–  Mischung 2/3 „sichere“ Herkunftsländer, 1/3 Erstaufnahme vor Verteilung auf Kommunen: soll den Hoffnungslosen zum Trost oder zur Hoffnung dienen. Da sind die Verantwortlichen aber mit sich selbst im Widerspruch. Erst wollen sie den Aufenthalt unangenehm machen, um die Quote der freiwillig Ausreisenden zu erhöhen, dann wollen sie den Aufenthalt angenehmer machen? Nein, sie wollen „nur“ die Schwelle zu gewalttätigen Auseinandersetzungen erhöhen.

–  Abgelegenheit des Wohnortes lässt Flüchtlinge zur Ruhe kommen. Die Gefahr rassistischer Gewaltanwendung sei auch geringer.