Artikel: Falsche Prognose

Abschiebung von Schutzsuchenden

 

Gastkommentar von Ulla Jelpke (erschienen am 22.12.2017 in der jungen Welt)

Mit trauter Regelmäßigkeit werden Szenarien von angeblich zuwenig Abschiebungen und Ausreisen kolportiert. Mal kommen diese Falschbehauptungen von der Regierungsbank, mal aus den Medien. Auch Bundesinnenminister De Maizière forderte im Juni 2017 »Härte« zur Steigerung der Anzahl von Abschiebungen und Ausreisen. Diesmal ist es die Springer-Zeitung Die Welt, welche, entgegen der Realität, die Mär von angeblich verfehlten Abschiebungszielen verbreitet. Richtig, die Zahl der Abschiebungen und Ausreisen geht zurück. Aber an dieser Stelle nicht die drastisch gesunkene Zahl der Asylsuchenden miteinzubeziehen, ist grob fahrlässig oder böswillig. Viele der derzeitigen Asylablehnungen betreffen afghanische Flüchtlinge. Diese Ablehnungen werden praktisch am Fließband nach »Schema F« produziert. Die Kriegsrealität in Afghanistan widerspricht dabei der Darstellung von sicheren Gebieten in den Ablehnungen – folglich dürfen auch viele der abgelehnten Asylbewerber aus Afghanistan nicht abgeschoben werden.

Auch bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht gibt es keine Mängel, im Gegenteil: Die sogenannte Rückführungsquote – Ausreisen und Abschiebungen bezogen auf rechtswirksame Ausreiseaufforderungen – lag in Deutschland im Jahr 2016 bei 106 Prozent. Bis September 2017 gab es mit 37.983 mehr Ausreisen und Abschiebungen abgelehnter Asylsuchender als behördliche 34.956 Ausreiseentscheidungen.

Nur zur Erinnerung: Für das Jahr 2017 hatte die Bundesregierung eigentlich einen erheblichen Anstieg der Zahl der Ausreisepflichtigen prognostiziert. Die von ihr beauftragte Beraterfirma McKinsey prognostizierte für Ende 2017 gar bis zu 500.000, woraufhin die Bundeskanzlerin zu einer »nationalen Kraftanstrengung« bei Abschiebungen aufrief. Dabei war die Prognose grundfalsch. Die Zahl der Ausreisepflichtigen ist mit etwa 230.000 seit über einem Jahr nahezu gleichgeblieben. Nur 114.496 – also etwa die Hälfte von ihnen – sind abgelehnte Asylsuchende. Zudem ist die Zahl der Ausreisepflichtigen im Ausländerzentralregister aufgrund von Fehleinträgen statistisch überhöht und nicht alle Ausreisen werden erfasst. 163.184, also 71 Prozent der Ausreisepflichtigen, haben eine Duldung. Viele von ihnen dürfen aufgrund unterschiedlichster Ursachen, wie zum Beispiel medizinische Abschiebungshindernisse, familiäre Bindungen und humanitäre Gründe gar nicht abgeschoben werden.

Falschdarstellungen, wie aktuell in Die Welt und Aufrufe zu »nationalen Kraftanstrengungen« zur Abschiebung von Schutzsuchenden widersprechen nicht nur den Tatsachen, sie gießen vor allem Öl ins Feuer rassistischer Hetzer wie der der AfD. Es wird Zeit, eine echte Bleiberechtsperspektive für Geduldete zu bieten, statt Schutzsuchende als Bedrohung darzustellen.