Rede: Verzögerungstaktik beim Familiennachzug erzeugt Leid

Rede zu TOP 19 der 237. Sitzung des Deutschen Bundestages, 01.06. 2017

Beratung des Berichts des Innenausschusses gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung

– zu dem von den Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Dr. Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Familiennachzug für subsidiär Geschützte)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen uneingeschränkt gewährleisten

Drucksachen 18/10044, 18/10243, 18/12399

 

 

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kiesewetter, den Antrag, den Sie hier heute verteidigen wollen, ist wirklich ein schändlicher Versuch, auf Zeit zu spielen. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir wollen hier heute einen sofortigen Abschiebestopp, und wir können das auch ganz eindeutig begründen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Was sagt denn der Herr Ramelow?)

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lindholz, es ist doch wirklich eine Frage des politischen Willens. Sie können mir doch nicht erzählen, dass ein so reiches Land wie Deutschland dazu nicht in der Lage ist.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja! Genau! – Nina Warken [CDU/CSU]: Jeden nehmen, oder was? Alle?)

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich glaube, dass Sie totalen Unfug reden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Mit euch werden wir noch arm! Mit Ihrer Hilfestellung werden wir sofort arm!)

Wenn man es will, dann wird man nicht in erster Linie Angst und Panik verbreiten, weil hierher Menschen kommen, die mit ihren Familien zusammenleben wollen. Sie haben da auch eine ganz klare Verpflichtung. Die Kinderrechtskonvention, das Grundgesetz, all diese Dinge müssen Sie einhalten.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das Grundgesetz gilt nicht dafür!)

Ich sage es noch einmal: Es gibt so viele Paten, die bereit sind, Familien aufzunehmen, ihnen zu helfen. Es gibt im Übrigen sehr viele Verwandte und Bekannte,

(Nina Warken [CDU/CSU]: Die sollen auch alle kommen!)

die ebenfalls bereit sind, Familien mit aufzunehmen. Das, was Sie hier machen, ist meiner Meinung nach wirklich eine menschliche Grausamkeit, die schleunigst beendet werden muss.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Ullrich

[CDU/CSU]: Einige dieser Menschen sind aufgenommen worden! Und Sie sprechen von menschlicher Grausamkeit! Das ist nicht in Ordnung, was Sie da sagen!)

Überlegen Sie doch einfach mal, was Sie für ein Demokratieverständnis haben.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wissen Sie was, Frau Jelpke? Schauen Sie sich mal Ihr Demokratieverständnis an! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sie reden von Demokratieverständnis, wenn jemand eine andere Meinung hat, Frau Jelpke!)

Es gibt hier zwei Vorlagen von der Opposition: von den Grünen und von den Linken. Sie versuchen seit Wochen, zu verhindern, dass hier eine Entscheidung zustande kommt. Sie oder auch die SPD könnten hier einfach Farbe bekennen,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Habe ich ja gerade!)

indem Sie sagen: Okay, wir stimmen dagegen. – Dann wissen wir auch, woran wir sind. Aber das, was Sie im Moment hier machen, ist einfach undemokratisch und zutiefst abzulehnen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das will ich auch ganz eindeutig den Kolleginnen und Kollegen der SPD sagen: Sie sind doch über den Tisch gezogen worden. Der Innenminister hat Ihnen damals gesagt: Es wird nur wenige Fälle geben, wo der Familiennachzug ausgesetzt wird. – Syrische Familien sollten es schon gar nicht sein. Deswegen verstehe ich nach wie vor nicht, warum Sie in diesem Fall nicht ganz eindeutig sagen: Das entspricht nicht der Wahrheit und dem, was uns vorgelegt wurde. Deshalb stimmen wir zu und sagen, dass es subsidiär Schutzbedürftigen möglich sein muss, ihre Familien nachzuholen. – Wir wissen doch alle, wie lange das Verfahren dauert, wie lange das Antragsverfahren dauert. Es geht meines Erachtens überhaupt nicht, dass Familienmitglieder zwei oder drei Jahre voneinander getrennt sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ganz besonders möchte ich hier noch einmal die Jugendlichen erwähnen. Wir bekommen im Moment so viele Briefe, wo wirklich schlimme Schicksale dabei sind. Ich habe hier so einen Fall: Er heißt Basar, 15 Jahre alt, hat nur subsidiären Schutz bekommen, also vorübergehend für ein Jahr, ist schwer traumatisiert, hat einen Tumor, hat schlimme Angstzustände jede Nacht. Trotzdem wird nicht erlaubt, dass seine Familie nachkommt. Ich finde, das ist einfach ein menschlicher Skandal.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Die Rechtsprechung stellt immer auf die im Land ab, die noch dort sind!)

Sie bekommen hundertprozentig auch solche Briefe. Ich möchte wirklich einmal wissen, wo eigentlich Ihr Herz hingerutscht ist. Wenn ich Sie hier so reden höre, dann wird mir angst und bange, in was für einer Republik wir demnächst leben müssen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nina Warken [CDU/ CSU]: Sie müssen auch mal die Rechtsprechung akzeptieren!)

Ja, das finde ich wirklich. Ich will Ihnen auch sagen: Gerade die Helfer und Helferinnen – von den Kirchen, von den Wohlfahrtsverbänden, von den Beratungsstellen – sind schwer frustriert. Sie wissen ganz genau – das ist übrigens auch ein Grund, warum Sie nicht bereit sind, über die Vorlagen hier abstimmen zu lassen –,

(Nina Warken [CDU/CSU]: Wir stimmen gern ab! – Gegenruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir jetzt! Das machen Sie ja nicht! Erzählen Sie mir doch nichts!)

dass wir in der Gesellschaft gerade unter den Helfern und Helferinnen eine große Mehrheit haben, die verurteilt, dass Sie permanent gegen die Kinderrechtskonvention verstoßen. Im Übrigen hat das Deutsche Institut für Menschenrechte ganz klar an Sie appelliert, den Familiennachzug stattfinden zu lassen.