Rede: Datenschutz wird für die Interessen der Wirtschaft geopfert

Rede zu Protokoll zu TOP 23 der 234. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 18. Mai 2017

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises

Drucksache 18/11279

 

Anrede,

 

die Bundesregierung will die Online-Funktion des Personalausweises künftig zur Pflicht machen. Die Bürgerinnen und Bürger können dann nicht mehr, wie bisher, bei der Aushändigung des Dokumentes selbst entscheiden, ob die Funktion aktiviert wird oder nicht. Damit verbunden sind zahlreiche Eingriffe in den Datenschutz, auf die ich gleich noch kommen werde. Außerdem will die Bundesregierung den Polizeibehörden und Geheimdiensten künftig erlauben, sämtliche Passfotos aus den Meldebehörden im automatisierten Verfahren abzurufen. Die bisherige Einschränkung, die den Nachweis einer Eilbedürftigkeit verlangt, wird abgeschafft.

Die Datenschützer, die bei der Anhörung des Innenausschusses zu diesem Gesetzentwurf befragt worden sind, waren sich einig: Dieses Gesetz bringt gravierende Verschlechterungen für die Bürger mit sich. Ich zitiere hier nur die Bundesdatenschutzbeauftragte, die sagte, es würden „mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nach wie vor das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger übergangen und Datenschutz sichernde Standards unterlaufen.“

 

Anrede,

 

warum will die Bundesregierung die bisherige Wahlfreiheit bei der Aktivierung der Online-Funktion abschaffen? Ganz einfach: Die Bürger haben von ihrer Freiheit zu ausgiebig Gebrauch gemacht und sich zu zwei Dritteln gegen die Internetfunktion entschieden. Das passt der Bundesregierung nicht, weswegen sie jetzt die Möglichkeit, sich dagegen zu entscheiden, einfach streicht. Das ist doch wirklich ein Rückfall in den Obrigkeitsstaat. Die neue Regelung soll laut Gesetzesbegründung der Wirtschaft ein großes Potential neuer Kunden zuführen. Das ist ein eindeutiger Missbrauch der Ausweispflicht zur Technologieförderung und zur Profitsteigerung, der noch dazu auf Kosten der Sicherheit geht.

Der eigentliche Grund, weswegen nur eine Minderheit die Online-Funktion freischalten lässt, ist doch: Die Leute versprechen sich keinen Nutzen davon, und sie vertrauen der Technologie nicht. Aus gutem Grund. Zur sicheren Identifizierung haben Online-Dienste schon längst andere Verfahren entwickelt, inklusive internationaler Nutzungsmöglichkeit, die Mobiltelefone als Instrumente einsetzen. Das verspricht allemal kundenfreundlicher zu sein als eine rein nationale Lösung, die noch dazu per Gesetz erzwungen wird.

 

Trotz zahlreicher Einwände der Datenschützer in der Anhörung hat die Koalition nicht nachgebessert, im Gegenteil, der Datenschutz wurde sogar noch weiter ausgehöhlt.

 

Ich nenne hier nur einige Beispiele:

Die Zertifizierung der Diensteanbieter im Internet wird „entbürokratisiert“, behauptet die Koalition. Tatsächlich wird hier aber am Datenschutz gespart. Die Diensteanbeiter werden direkt mit der Zertifizierung berechtigt, die persönlichen Daten der Nutzer zu verwenden – und zwar unabhängig davon, ob diese Daten für den jeweils festgelegten Zweck auch tatsächlich erforderlich sind. Um das zu überprüfen, kommt auf die Datenschutzbeauftragten in Bund und Ländern jetzt erhebliche Mehrarbeit zu – für die es aber keine Aufstockung des Personals gibt. Unterm Strich, so hat der Chaos-Computer-Club gewarnt, „wird letztlich beim präventiven Datenschutz zurückgesteckt“, und zwar im Interesse der Wirtschaft. Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass den Bürgern die jetzt noch bestehende Möglichkeit genommen werden soll, gegen die Übermittlung einzelner Daten Widerspruch einzulegen. Wer das System in Zukunft nutzen will, muss immer sämtliche Daten übermitteln, auch wenn das im Einzelfall gar nicht nötig wäre.

 

Zurückgesteckt wird auch bei den Informationen für die Bürger. Wenn sie schon zur Annahme eines aktivierten E-Pass gezwungen werden, dann müsste man ihnen wenigstens ordentliches Informationsmaterial über die Risiken an die Hand geben. Aber das soll es nur auf Anfrage geschehen, und es bleibt den Meldeämtern selbst überlassen, dieses Material zu erstellen.

Das ist absolut unzureichend. Dass der Bund sich die Mühe macht, ein bundesweit einheitliches Informationsangebot zu erstellen, das ausführlich über die Risiken aufklärt, wäre doch das Mindeste!

 

Ich will abschließend einen Absatz im Gesetzentwurf ansprechen, den ich für eine regelrechte Sauerei halte: Die Erweiterung der Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten, denen künftig erlaubt wird, sich ohne jeden Anlass im automatisierten Verfahren die Passbilder aller Bürgerinnen und Bürger bei den Meldebehörden zu besorgen. Bislang müssen sie dafür wenigstens noch eine Dringlichkeit nachweisen, wodurch der größte Missbrauch verhindert werden konnte. Diese Einschränkung soll jetzt wegfallen. Die Geheimdienste können, wenn sie wollen, eine komplette Bilddatei der Bevölkerung anlegen, wie gesagt ohne jeden Anlass. Mit dem restlichen Anliegen des Gesetzentwurfs hat das überhaupt nichts zu tun – diese Bestimmung ist wie ein Trojanisches Pferd. Ich finde das wirklich ein Horrorszenario für die Bürgerrechte. In der Anhörung hagelte es hierzu Kritik – und jetzt haben wir einen Änderungsantrag der Koalition, der diese Kritik nicht nur ignoriert, sondern alles noch schlimmer macht: Sie bekräftigen nicht nur diesen Datenrechtsverstoß, sondern weiten den Kreis der dazu Berechtigten gleich noch auf Zollkriminalämter und Steuerfahnder aus. Und die neue Regelung soll nicht, wie zunächst geplant, erst 2021, sondern sofort in Kraft treten.

 

Ich fasse zusammen: Dieses Gesetz versucht zum einen, die Bürger zwangsweise zur Nutzung einer unsicheren und überflüssigen Technologie anzustiften, wobei es unter dem Vorwand der Entbürokratisierung beim Datenschutz spart. Zum anderen baut es ohne jede Begründung die Befugnisse der Geheimdienste aus. Es ist selbstverständlich, dass DIE LINKE ein solches Gesetz, das aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eine Farce macht, ablehnt.