Artikel: Spiel auf Zeit mit Geflüchteten

Nur »subsidiär« geschützt: Gericht verweigert Syrerin vollwertigen Asylstatus

Von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt am 25.11.2016)

Am Mittwoch hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig gegen den Schutzstatus einer Syrerin nach der Genfer Flüchtlingskonvention entschieden. Diese Entscheidung kommt dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF) und der Unionsfraktion in der aktuellen Debatte um Kriegsflüchtlinge äußerst gelegen. Das Gericht argumentierte, dass Flucht und Asylsuche im Ausland allein nicht ausreichten, um bei einer Rückkehr nach Syrien mit politischer Verfolgung aufgrund eines Generalverdachts rechnen zu müssen. Zudem schätzte es die Aussage der jungen Frau, sie sei in Syrien verfolgt und bedroht worden, als unglaubwürdig ein, da sie diese Angaben erst jetzt und nicht bereits in der Anhörung gemacht habe. Ihre Erklärung, dies zunächst »aus Angst« nicht angegeben zu haben, ließ das Gericht nicht gelten. Der Betroffenen wurde daher nur ein auf ein Jahr befristeter »subsidiärer Schutzstatus« eingeräumt. Das hat zur Folge, dass sie auf Jahre von ihrem Mann und ihren Kindern getrennt wird.

Die Diskussion um den subsidiären Schutz bekam mit dem »Asylpaket II« eine besondere politische Brisanz. Denn das Bundesinnenministerium und die Unionsfraktion im Bundestag setzten auf einen Taschenspielertrick, um die sozialdemokratische Koalitionspartnerin von der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten bis März 2018 zu überzeugen. Es wurde der Eindruck erweckt, die Aussetzung des Familiennachzuges betreffe nur eine absolute Minderheit der syrischen Flüchtlinge, und das würde auch in Zukunft so bleiben. Die SPD nahm diese Argumentationshilfe dankbar auf. Der Schutz von Ehe und Familie, wie er in Artikel 6 des Grundgesetzes geregelt ist, wurde so dem Koalitionsfrieden geopfert. Doch das BAMF änderte mit Inkrafttreten des Asylpakets II schlagartig seine Anhörungs- und Entscheidungspraxis, so dass der Anteil der nur subsidiär geschützten syrischen Flüchtlinge von 1,2 Prozent im Februar auf 73,5 Prozent im September 2016 steil in die Höhe schoss.

 113.000 Geflüchtete, darunter 94.000 Syrer, haben 2016 einen subsidiären Schutzstatus erhalten. Darunter sind weit mehr als 800 unbegleitete Jugendliche, denen das Recht auf Nachzug ihrer Eltern verweigert wird. In anderen Fällen können Eltern, die von ihren Kindern auf der Flucht getrennt wurden, diese nun nicht nachholen. Ein auch »innerliches Ankommen« in Deutschland ist den nur subsidiär Geschützten, die inzwischen die Mehrheit der Flüchtlinge aus Syrien stellen, unmöglich. Gerade aus diesem Grund klagten bislang mehr als 32.000 Geflüchtete gegen diese Einstufung. Tatsächlich fielen 90 Prozent der bisher getroffenen Entscheidungen gegen die Verweigerung eines regulären Flüchtlingsstatus zugunsten der Betroffenen aus. In einer Bundestagsdebatte am 10. November plädierten auch Abgeordnete der SPD mit Blick auf Anträge der Grünen und Linken dafür, die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten schnellstmöglich zu beenden. Der politische Druck wuchs also. Die Entscheidung des OVG Schleswig könnte dem nun entgegenwirken. Die Befürworter der Aussetzung des Familiennachzugs versuchen nun auf Zeit zu spielen. Sollte es das politische Kalkül sein, die Frage der Schutzgewährung für syrische Flüchtlinge durch alle gerichtlichen Instanzen treiben zu wollen, wäre das fatal für die Betroffenen. Denn eine solche Klärung ist vor März 2018 nicht zu erwarten – und dann wäre der Zeitraum der Aussetzung des Familiennachzugs sowieso zu Ende.

Die Entscheidung, ob der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ausgesetzt werden soll oder nicht, bleibt aber eine politische. Und hier muss die SPD ihren Ankündigungen nun Taten folgen lassen.