Artikel: Kobanis Verteidiger als Terroristen diffamiert

Bundesregierung fehlen die Argumente für die Diskriminierung von PKK-Angehörigen – an Verbot und Verfolgung der Partei will sie weiter festhalten

Von Ulla Jelpke
(erschienen in der jungen Welt am 12.12.2015

Während selbst Bild online in einer Fotoreportage Kobani als »tapferste Stadt der Welt« feiert, hält die Bundesregierung die kurdischen Verteidiger dieser nordsyrischen Stadt schlicht für Terroristen. Dies wird deutlich in der Antwort auf eine kleine Anfrage zu »gegenwärtigen Erkenntnissen zur Fortführung des Vereinsverbots der PKK«. Die Linksfraktion hatte Nachfragen zu einem Bericht des Bundesinnenministeriums gestellt, mit dem im Oktober vor dem Bundestagsinnenausschuss die Aufrechterhaltung des seit 21 Jahren geltenden Verbots der Arbeiterpartei Kurdistans PKK gerechtfertigt wurde. Darin hatte das Innenministerium erklärt, dass das Gefährdungspotential von Kurden, die zum Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) in den Nahen Osten ziehen, als »qualitativ nicht anders zu bewerten« ist als »das der dschihadistischen Syrien-Kämpfer«. Bei den in Kobani kämpfenden Volksverteidigungseinheiten (YPG) handele es sich um den militärischen Arm der Partei der Demokratischen Union PYD, und diese gelte als »syrischer Zweig der PKK«, die wiederum eine ausländische terroristische Vereinigung sei, lautet die Argumentationskette der Bundesregierung. Dass die YPG nicht der PYD, sondern den Verteidigungsministerien der drei kurdischen Selbstverwaltungskantone in Rojava unterstehen und neben PYD-Anhängern auch Mitglieder sozialdemokratischer sowie christlich-assyrischer Parteien den Milizen angehören, ignoriert die Bundesregierung. Woraus sich das genannte »Gefährdungspotential« kurdischer Kämpfer ergeben soll, kann die Bundesregierung auf Nachfrage nicht erklären. Es handele sich um eine »phänomendifferenzierte Bewertung«, lautet die Antwort im Verfassungsschutz-Slang. »Unbeschadet der Tatsache, dass es sich bei PKK und IS um ausländische terroristische Vereinigungen handelt, sind die (potentiellen) Konsequenzen hieraus abzuleitender inländischer Aktivitäten unterschiedlich zu bewerten«, orakelt die Regierung. Gefragt, ob denn bei ehemaligen Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan gegen Dschihadisten gekämpft haben, ein vergleichbares Gefährdungspotential erkennbar sei, vermag die Bundesregierung »einen Zusammenhang zwischen Syrien-Kämpferinnen und -Kämpfern der PKK einerseits und staatlichen Streitkräften andererseits nicht zu erkennen«.

Das angeblich taktische Verhältnis der PKK – die sich bereits 1996 zu Gewaltfreiheit in Europa bekannte – zur Gewalt versucht die Bundesregierung mit einem Aufruf der PKK-Führung an die Kurden zu belegen, nach Rojava zu kommen, um Teil des Widerstandes gegen den IS zu werden. Zitiert wird als Beleg für die angebliche Gewaltbereitschaft der PKK zudem die Aufforderung des Guerillakommandanten Murat Karayilan, »vor die Tore internationaler Organisationen zu marschieren und vom Widerstand in Kobani zu berichten«. Dass damit keine Gewalttaten gemeint waren, zeigen schon die von der Bundesregierung aufgeführten, überwiegend störungsfrei verlaufenen 444 Demonstrationen und Mahnwachen in Deutschland anlässlich der Kämpfe um Kobani.

Weiterhin wollte die Linksfraktion wissen, wie die Tatsache, dass die PKK-Guerilla zahlreiche Angehörige von religiösen und ethnischen Minderheiten wie Jesiden, Turkmenen und Christen vor dem IS gerettet hat, sich mit dem von der Bundesregierung erhobenen Vorwurf vertrage, die PKK richte sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Hier führt die Bundesregierung eine Stadtguerillaorganisation namens Freiheitsfalken Kurdistans TAK an, die vor einigen Jahren in der Westtürkei Anschläge auf Zivilisten verübt hatte. Die TAK hatten sich nach eigenen Angaben von der in ihren Augen zu gemäßigt agierenden PKK abgespalten, die PKK-Führung wiederum hatte sich von deren Anschlägen distanziert. Dass bislang bei Terrorismusverfahren vor deutschen Gerichten keinerlei Beweise für eine Zugehörigkeit der TAK zur PKK erbracht werden konnten, ignoriert die Bundesregierung. Seit 2011 hat die Generalbundesanwaltschaft bereits 116 Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer »terroristischen Vereinigung im Ausland« gegen mutmaßliche PKK-Kader in Deutschland eingeleitet. Bislang wurden fünf Kurden nach diesem Paragraphen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, zwei weitere Verfahren laufen noch. Auch wenn sie sich nur legal in Kulturvereinen oder bei der Organisation von Demonstrationen in Europa betätigt haben, werden ihnen Guerillaaktionen in Kurdistan vorgeworfen, an denen sie gar nicht beteiligt waren.