Artikel: Einer stieg aus

Vor einem Jahr hat der Geheimdienst das Programm für jene Menschen begonnen, »die in den Einflußbereich linksextremistischer Gruppierungen geraten sind, sich daraus lösen wollen und dies aus eigener Kraft nicht schaffen«, wie er es selbst formuliert. Die Linksfraktion im Bundestag erkundigte sich nun nach der Jahresbilanz. Die jetzt zugestellte Antwort der Bundesregierung entlarvt das Programm als den erwarteten Flop. Ganze 33 Personen haben übers Jahr angerufen – »in 25 Fällen ist von einer nicht ernstgemeinten Kontaktaufnahme auszugehen«, räumt die Bundesregierung ein. Das waren wohl Ulk-Anrufe oder Fragen von Journalisten. Nach einem gewissen Interesse im ersten Monat ging die Zahl der Telefonate rapide zurück. Bei ganzen drei Anrufern war der »Ausstiegswillige« so hartnäckig, daß sich persönliche Gespräche anschlossen. Gegen zwei dieser Anrufer liefen zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme Ermittlungsverfahren. Sie hofften wohl auf Strafnachlaß, den das Programm aber offiziell nicht vorsieht. Letztlich konnte der Verfassungsschutz einen einzigen »Aussteiger« verbuchen: Ein junger Mann aus Bayern, zwischen 21 und 24 Jahre alt, der früher in der autonomen Szene war.

Trotz der, wie die Bundesregierung beschönigend schreibt, »zahlenmäßig überschaubaren Zahl von ernsthaften Anrufern« will sie am Programm festhalten, damit Linke »wieder in ein bürgerliches Leben integriert werden können«.

Inwiefern der junge Ex-Autonome aus Bayern tatsächlich auf die Hilfe des Verfassungsschutzes angewiesen war, wird nicht klar. Die Bundesregierung verweist auf die nicht näher erläuterte »Erfahrung«, daß es den Aussteigewilligen häufig »an anderen Gesprächspartnern mangelt«, weil sie kaum soziale Kontakte außerhalb der linken Szene hätten. In solchen Fällen unterstütze der Verfassungsschutz »mit Ratschlägen und dient als Gesprächspartner«. Die Bedarfslage von Personen, welche die linke Szene verlassen wollen, konzentriere sich »überwiegend auf die Bewältigung sozialer Probleme«. Die unterscheiden sich allerdings kaum von jenen, die etwa aus einem Fußballverein austreten wollen und sich neue Freunde suchen müssen, nur daß sich die meisten deswegen nicht an den Verfassungsschutz wenden. Weitere Hilfsangebote, die zum Programm gehören – etwa Unterstützung beim Umzug oder bei der Vermittlung von Hilfsangeboten bei Überschuldung oder Suchtproblemen – wurden bislang nicht in Anspruch genommen.

Die Linksfraktion erklärte gestern in einer Presseerklärung, das Programm sei die Kosten für den Nebenanschluß nicht wert. Sein eigentlicher politischer Charakter bestehe darin, eine strukturelle Gleichheit von linksradikaler Szene und Neonazi-Kameradschaften zu behaupten und so die »Extremismusthese« zu stützen. Wie falsch diese ist, ergibt sich aber aus der Regierungsantwort selbst: Es gebe keinerlei Erfahrung dahingehend, daß Angehörige linker Strukturen, die diese verlassen, irgendwelchen Repressalien von Seiten ihrer ehemaligen Genossen ausgesetzt seien, so die Regierung. Fememorde und Rache an »Verrätern« sind offenbar eine Spezialität der extremen Rechten.