Ein wenig Gerechtigkeit

Alle Nachfahren von Verfolgten des deutschen Faschismus haben jetzt einen Rechtsanspruch auf Erwerb der Staatsangehörigkeit

von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 01.07.2021)

Gegen halb drei Uhr morgens in der Nacht zum Freitag, den 25. Juni, votierten Abgeordnete aller Fraktionen im Bundestag außer der der AfD für einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur »Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts«. Mit dem Gesetz wird es – wenn der Bundesrat zugestimmt hat – künftig einen Rechtsanspruch auf die »Wiedergutmachungseinbürgerung« für alle Nachfahren von Opfern des Nazifaschismus geben, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatten.

Zwar garantiert das Grundgesetz die Wiedereinbürgerung von Personen und ihren Nachfahren, die von den Nazis aus politischen oder rassistischen Gründen ausgebürgert worden waren. Keinen rechtlichen Anspruch auf Wiedererwerb der Staatsangehörigkeit nach Artikel 116 Grundgesetz hatten bisher aber Verfolgte bzw. deren Nachfahren, wenn sie vom Nazistaat nicht formell ausgebürgert worden waren. Dies betraf etwa Geflüchtete aus dem Deutschen Reich, die die Staatsbürgerschaft ihres Aufnahmelandes erhalten hatten. Denn dies zog automatisch den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft nach sich. Auch verfolgte jüdische Frauen, die einen Mann mit anderer Staatsangehörigkeit heirateten, verloren automatisch ihre deutsche Staatsbürgerschaft. Formell betrachtet waren sie zwar nicht unrechtmäßig ausgebürgert worden. Doch der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit war letztlich verfolgungsbedingt.

Unrecht anerkannt

Ein anderes Beispiel betrifft die verfolgungsbedingte Verweigerung einer Einbürgerung. So hatten die Nazis zwischen 1938 und 1945 rund vier Millionen sogenannten deutschen Volkszugehörigen in besetzten bzw. annektierten Ländern und Gebieten durch »Sammeleinbürgerungen« automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen. Doch explizit ausgeschlossen von den Sammeleinbürgerungen waren damals deutschsprachige Juden, Sinti und Roma. So hatten etwa in der rumänischen Bukowina große Gemeinschaften deutsch sprechender Juden gelebt, deren Hinwendung zur deutschen Kultur unzweifelhaft war. Aber einen deutschen Pass durften sie unter den Nazis nicht bekommen. Denn der Nazijurist Hans Globke, der nach dem Krieg unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) Kanzleramtssekretär wurde, hatte die Definition der deutschen Volkszugehörigkeit in einem Runderlass vom 29. März 1939 festgelegt. Darin hieß es: »Juden, Zigeuner sowie Angehörige der außereuropäischen Rassen sind niemals deutsche Volkszugehörige.«

Schon im August 2019 hatte das Bundesinnenministerium per Erlass die Einbürgerung für Nachfahren von Verfolgten, die bis dato keinen grundgesetzlichen Einbürgerungsanspruch hatten, erleichtert. Betroffenenverbände hatten aber gefordert, dass die Erlassregel in Gesetzesform gegossen werde – zum einen, um dauerhafte Rechtssicherheit zu schaffen, zum anderen aber auch aufgrund der Symbolik. Das nun vom Bundestag verabschiedete Gesetz erkennt das Unrecht gegenüber den betroffenen Personengruppen an und verleiht ihnen einen gesetzlichen Anspruch auf Einbürgerung.

Vom Gesetz festgeschrieben wird zudem, dass Ansprüche auf die »Wiedergutmachungseinbürgerung« keiner Befristung mehr unterliegen. Denn bislang galt noch ein Generationenschnitt für Kinder, deren Eltern nach dem 31. Dezember 1999 im Ausland geboren wurden und dort lebten. Die Antragsteller müssen nun nachweisen, dass ihre Vorfahren unter den Nazis verfolgt wurden oder Angehörige verfolgter Minderheiten waren.

Probleme programmiert

Leider konnten einige Schwächen und Unklarheiten im Gesetzentwurf nicht beseitigt werden, die sich in der Auslegung und Anwendung als problematisch erweisen könnten. Darauf hatte insbesondere der Sachverständige Nicholas Courtman in einer Anhörung beim Innenausschuss des Bundestages hingewiesen. So sieht Paragraph 15 Absatz 3 einen Einbürgerungsanspruch auch dann vor, wenn die Vorfahren der heutigen Antragsteller keinen Antrag gestellt hatten, die Einbürgerung aber »sonst möglich gewesen wäre«. Das heißt, hier sollen die einschlägigen Bestimmungen des damaligen Reichs- und Staatsangehörigkeitsrechts zur Anwendung kommen. Das ist nicht unproblematisch, denn bereits in Weimarer Zeiten und im Nazistaat galt als Bedingung für eine Einbürgerung unter anderem ein »unbescholtener Lebenswandel« sowie wirtschaftliche Selbständigkeit und eine eigene Wohnung. Diese Kriterien verhinderten zum Beispiel die Einbürgerung von Frauen, denen ein »lasterhafter« Lebenswandel nachgesagt wurde. Jene Sinti und ­Roma, die nomadisch oder halbnomadisch lebten, wurden ebenfalls benachteiligt. Nicht zuletzt ergibt sich durch diese Formulierung ein rein praktisches Problem: Wie soll ein heutiger Antragsteller nachweisen, dass seine Großmutter oder Urgroßmutter im Jahr 1935 wirtschaftlich selbständig war?

Problematisch ist auch der Passus im Gesetz, wonach eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ab zwei Jahren automatisch zum Ausschluss von der Einbürgerung führt. Denn zum einen wiegt eine Straftat nicht das von den Nazis begangene Unrecht auf – und damit auch nicht die Pflicht, dieses wiedergutzumachen, wo es möglich ist. Und zum anderen gilt die Ausschlussbestimmung auch für Verurteilungen im Ausland. Man stelle sich vor: Der Urenkel einer verfolgten deutschen Jüdin, die in die Türkei floh, wird dort wegen Erdogan-kritischer Ansichten verfolgt und verurteilt – und darf deswegen kein Deutscher werden.

Es bleibt zu hoffen, dass Durchführungsvorschriften die genannten Probleme entschärfen. Betroffenenverbände begrüßten das Gesetz als überfällig. Dies seien wichtige rechtliche Schritte, »damit Deutschland seiner historischen Verantwortung gerecht wird«, erklärte der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster.