Krisen verwalten – Innenministerkonferenz

Kommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 19.06.2021)

Die innergesellschaftlichen Krisen verschärfen sich, und die Innenminister reagieren wie gewohnt: mit Forderungen nach mehr polizeilicher Kontrolle und härteren Strafen. An die eigene Nase fassen sie sich allerdings nicht.

Wenn antisemitische Hetzer höhere Geldbußen oder gar Haftstrafen erhalten, wie es die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern (IMK) jetzt fordert, wird man als Linker erst mal nicht protestieren wollen. Die Frage stellt sich allerdings, warum das gleiche nicht auch für jene gelten soll, die antimuslimische Hetze betreiben – dürften davon doch wesentlich mehr Menschen betroffen sein. Und warum rassistisch motivierte Straftaten gegen Sinti und Roma nicht genauso schlimm sein sollen wie solche gegen Juden, lässt sich nicht plausibel erklären. Wo doch sonst gebetsmühlenartig beteuert wird, es dürfe für keinerlei »Extremismus« Raum geben. Doch in der Praxis geben offenbar andere politische Überlegungen den Ton an. Zudem sollen antisemitische Straftaten künftig nicht mehr unbedingt dem rechten Spektrum zugeordnet, sondern verstärkt Muslime als Täter in den Fokus gezogen werden, zum Beispiel, wenn sie vor Synagogen gegen Israel demonstrieren. Dass Deutsche das Problem Antisemitismus als »importiert« bezeichnen, liegt im Trend.

Sorgen machen sich die Minister auch wegen Verschwörungsideologien in Zusammenhang mit der Coronapandemie, die auch zu verstärkten Angriffen auf kommunale Mandatsträger führen. Auch Angriffe auf Journalisten, insbesondere am Rande von »Querdenker«-Demos, waren Thema auf der IMK. Das sind keineswegs falsche Themen, falsch ist aber ihre Betrachtung alleine aus polizeilicher Sicht. Für die Risse, die durch die Gesellschaft gehen, sind ja nicht in erster Linie Hinz und Kunz verantwortlich, sondern jene, die in der Gesellschaft den Ton angeben und diese Position nun durch noch mehr Polizei, noch schärfere Gesetze und mehr Überwachungstechnologie halten wollen.

Gefordert wird von den Innenministern auch eine bessere Aufstellung des Katastrophenschutzes. Auch nicht falsch, aber: bessere Arbeitsbedingungen für Pflegepersonal? Ende des Profitzwangs für Krankenhäuser? Fehlanzeige.

Wer dem Kapitalismus ans Eingemachte will, outet sich allenfalls als »Extremist«. Die Krawalle, die es infolge eines Polizeieinsatzes in dieser Woche in der Rigaer Straße in Berlin gab, waren den Innenministern gar eine eigene Stellungnahme wert: »Unerträglich« sei das. Dass die Entwicklung der Mieten für viele Menschen tatsächlich unerträglich ist und ihnen faktisch das Grundrecht auf Wohnen nimmt, dazu hatten sie, natürlich, keinen Kommentar.

Die IMK zeigt mit all dem sehr deutlich: Krisen werden im Kapitalismus nicht bewältigt, sondern bestenfalls verwaltet. Ans Lösen denken die Herrschenden schon gar nicht mehr.