Falsche Anschuldigungen

Identitätspapiere: Zwischen fehlenden Dokumenten und geringer Schutzbedürftigkeit von Asylsuchenden gibt es keinen Zusammenhang

von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 24.02.2021)

 

Medienberichten vom Dienstag zufolge kam gut die Hälfte der erwachsenen Asylsuchenden 2020 ohne Identitätspapiere nach Deutschland. Die Zahlen gehen auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag zurück. Deren innenpolitische Sprecherin Linda Teuteberg nimmt die Zahl zum Anlass, an der Begründetheit der Asylanträge zu zweifeln. Die große Zahl an Asylantragstellern ohne Papiere stelle die Behörden vor große Herausforderungen. Denn unklare Identitäten würden eine angemessene Entscheidung im Asylverfahren erheblich erschweren. Eigentlich sei das Asylverfahren für Menschen gedacht, die »Schutz vor politischer Verfolgung benötigen«.

Die FDP-Politikerin ist nicht die erste, die einen Zusammenhang zwischen Passlosigkeit und fehlenden Verfolgungsgründen konstruiert. Auch der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Hans-Eckhard Sommer, hatte bereits unterstellt, dass Asylsuchende ohne Pässe meist nicht schutzbedürftig seien. Bevor Seehofer ihn zum Präsidenten der deutschen Asylbehörde machte, war Sommer am Aufbau des »Bayerischen Landesamts für Asyl und Rückführungen« beteiligt. Er fällt immer wieder durch rechte Positionen in der Flüchtlingspolitik auf.

Unterstellungen wie die von Teuteberg und Sommer ignorieren, dass es geradezu fluchttypisch ist, keine Reisedokumente vorlegen zu können. In vielen Herkunftsländern von Asylsuchenden gibt es kein funktionierendes Urkundenwesen, so dass schlicht keine entsprechenden Papiere ausgestellt werden. Vielfach erhalten gerade politisch verfolgte Menschen keine Reisedokumente oder diese wurden ihnen von den Behörden des Verfolgerstaates wieder abgenommen, um so eine Ausreise zu verhindern. Zum Teil werden Papiere auch durch Kriegsereignisse zerstört, können bei einer kurzfristigen Flucht nicht mitgenommen werden, oder sie gehen während der Flucht verloren: in der Wüste, auf hoher See, oder weil »Schlepper« oder Grenzpolizisten sie einbehalten. Wenn eine Person keine Papiere vorlegen kann, lässt dies also keine Rückschlüsse auf die Begründetheit ihres Asylgesuchs zu. In der Asylprüfung kommt es ohnehin auf die Glaubhaftigkeit der gemachten Angaben an. Es gehört zum Alltagsgeschäft der Asylbehörde, dabei auch Angaben zur Identität und Herkunft zu überprüfen. Hierzu stellen BAMF-Mitarbeiter zum Beispiel detaillierte Fragen zu Gegebenheiten in den Herkunftsländern oder geben Sprachgutachten in Auftrag.

Dies lässt sich auch anhand von Zahlen belegen, die die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion veröffentlicht hat. Für das erste Halbjahr 2019 wurde für die Herkunftsländer mit den höchsten und den niedrigsten bereinigten Schutzquoten der Anteil von Asylsuchenden ohne Identitätsnachweise abgefragt. Das Ergebnis: Asylsuchende mit besonders geringen Anerkennungschancen im Asylverfahren legten überdurchschnittlich häufig Identitätspapiere vor. Geflüchtete aus Moldau konnten beispielsweise fast zu 90 Prozent Identitätspapiere vorweisen, ihre Anerkennungsquote lag jedoch nur bei 1,3 Prozent. Umgekehrt waren die Anerkennungsquoten bei Herkunftsländern, bei denen der Anteil der Schutzsuchenden ohne Papiere besonders hoch lag, zum Teil überdurchschnittlich hoch. Zu diesen Ländern gehörten etwa Somalia, Eritrea und Afghanistan mit bereinigten Schutzquoten zwischen 60 und 90 Prozent. Dass Schutzsuchende aus diesen Ländern oftmals keine Pässe vorweisen können, liegt in erster Linie an einem schlechten Zustand des jeweiligen Urkundenwesens und an langen und gefährlichen Fluchtwegen.

Von konservativer Seite wird auch gerne unterstellt, Flüchtlinge würden häufig gefälschte Ausweisdokumente vorlegen. Tatsächlich aber ist der Anteil der Dokumente, die das BAMF nach einer Prüfung beanstandet, sehr gering. Das geht auch aus der Antwort der Bundesregierung auf die FDP-Anfrage hervor. 190.608 Dokumente wurden im vergangenen Jahr auf ihre Echtheit überprüft, beanstandet wurden sie lediglich in 2,36 Prozent der Fälle. Außerdem deuten gefälschte Papiere nicht zwangsläufig auf eine Täuschungsabsicht im Asylverfahren hin. Denn Flüchtlinge sind vielfach gezwungen, ein gefälschtes Visum oder gefälschte Pässe zu verwenden, um überhaupt fliehen und die hochgerüsteten Außengrenzen der EU überwinden zu können. Daten dazu, wie häufig die Vorlage gefälschter Dokumente mit falschen Angaben zur Identität und Herkunft verbunden ist, erhebt die Bundesregierung nicht.

Neben Teuteberg und Sommer ist es vor allem die AfD, die regelmäßig auf dem angeblichen Problem ungeklärter Identitäten herumreitet. Die, die dieses Thema immer wieder aufs neue skandalisieren, verfolgen damit vor allem ein Ziel: flüchtlingsfeindliche Hetze zu verbreiten und rassistische Ressentiments zu verstärken.