Rede: Recht auf Wiedereinbürgerung der Nachfahren von NS-Opfern

Tausende von Menschen, deren Vorfahren aufgrund von NS-Verfolgung die deutsche Staatsbürgerschaft verloren haben, sind bislang vom Anspruch auf Wiedereinbürgerung ausgeschlossen. Ulla Jelpke begründet einen Gesetzentwurf der LINKEN, der diese Lücke schließen soll. Deutschland muss den Nachfahren dieser NS-Opfer das Recht auf Wiedereinbürgerung geben.

 

143. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 30. Januar 2020 zu ZP 5

Beratung des Antrags der Abgeordneten Filiz Polat, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortung übernehmen – Einbürgerungsanspruch für Nachfahren der Verfolgten des NS-Regimes Drucksache 19/16846 zu AN 19/16846 sowie

Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE LINKE. eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksache 19/13505

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Filiz Polat, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht Drucksache 19/12200

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) Drucksache 19/16542 BE 19/16542 a) zu GE 19/13505 Zustimmung b) zu GE 19/12200 Zustimmung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Thomae, Konstantin Kuhle, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Einbürgerung von im Nationalsozialismus Verfolgten und deren Nachfahren umfassend und klar gesetzlich regeln Drucksachen 19/14063, 19/16542

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für Die Linke ist ganz klar: Menschen, deren Vorfahren wegen NS-Unrecht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, haben einen Wiedergutmachungsanspruch. Deutschland muss in die Pflicht genommen werden, ihre Einbürgerungsanträge positiv zu bescheiden, ohne Wenn und Aber.

Dass wir hier überhaupt über dieses Thema reden, verdanken wir vor allem der überzeugenden Arbeit der Betroffenengruppe. Ich möchte mich hier insbesondere bei Nick Courtman und Felix Couchman bedanken,

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und ich möchte sie heute auf der Besuchertribüne begrüßen. Sie haben auf zahlreiche Fälle hingewiesen, in denen Deutsche aufgrund der Verfolgung durch die Nazis ihre Staatsbürgerschaft verloren haben und von den Wiedereinbürgerungsgarantien des Grundgesetzes ausgeschlossen sind. Das gilt zum Beispiel, wenn Frauen, die vor den Nazis flohen, im Exil einen ausländischen Mann heirateten. Damit verloren sie automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Das Gleiche gilt, wenn sie sich vom Aufnahmeland einbürgern ließen.

Ich habe zahlreiche Schreiben von Betroffenen bekommen, zum Beispiel von Katherine Scott. Sie lebt heute in den USA. Vor einigen Jahren beantragte sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihr Antrag wurde abgelehnt; denn ihre Mutter, so schrieb das Konsulat, habe Deutschland ja mit einem deutschen Pass verlassen und erst durch die Heirat mit einem Engländer die deutsche Staatsbürgerschaft verloren. Außerdem liege ihre Einbürgerung nicht im deutschen Interesse, so das Konsulat. Das ist wirklich der Gipfel an Kaltherzigkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Gleiche erlebt Peter Guillery, der heute in England lebt. Sein Vater galt als Halbjude. Er floh mit seiner Mutter 1939 nach England, wo er später britischer Staatsbürger wurde. Damit habe er freiwillig auf die deutsche Staatsbürgerschaft verzichtet, hieß es bei der Ablehnung seines Einbürgerungsantrags. Selbst schuld, so das zynische Fazit der deutschen Behörden.

So, meine Damen und Herren, ging es Hunderten von Antragstellern. Ich möchte hier unmissverständlich klarstellen: Nein, diese Menschen waren nicht selbst schuld, dass sie ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren haben. Schuld war Nazideutschland und niemand sonst.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Amthor könnte Ihnen jetzt mal zuhören!)

Die Bundesregierung hat im Übrigen mit Erlassregelungen – wir haben es heute schon gehört – einige kritische Punkte aus dem Weg geräumt. Nur, Kollege Middelberg und auch Kollege Lindh: Die Erlasse des Innenministeriums enthalten noch Lücken bei der Wiedergutmachung, und sie sind auch politisch unzureichend. – Deswegen sagen wir: Wir brauchen nicht nur Erlasse, sondern wir brauchen ein Gesetz mit einem klaren Rechtsanspruch.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

In unserem Gesetzentwurf fordern wir, auch jene Menschen zu berücksichtigen, deren Vorfahren zum Teil jahrzehntelang in Deutschland gelebt haben, aber wegen antisemitischer Ressentiments nicht eingebürgert wurden.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Daniel Eisenberg, 28 Jahre alt. Sein Großvater wurde 1913 in Hannover geboren als Sohn eines staatenlosen galizischen Juden. Der Großvater hat 26 Jahre lang in Deutschland gelebt, im Pelzhandel gearbeitet, Steuern gezahlt. Aber als sogenannter Ostjude hatte er keine reelle Chance auf Einbürgerung, schon gar nicht nach 1933. Kurz vor Kriegsbeginn floh er nach Großbritannien. Sein Enkel, Daniel Eisenberg, möchte Deutscher werden, hier arbeiten und hier leben. Aber die Erlassregelungen geben es nicht her, dass er eingebürgert wird.

Wie absurd das ist, zeigt ein Vergleich. Die Nachfahren deutschsprachiger Juden, die im besetzten Polen von den Sammeleinbürgerungen deutschstämmiger Einwohner ausgeschlossen wurden, können heute zu Recht ihre Einbürgerung beantragen, obwohl sie nie im Deutschen Reich gelebt oder gearbeitet haben. Aber für Leute wie Daniel Eisenberg, dessen Großvater mitten aus Deutschland stammte und vor den Nazis fliehen musste, gilt das nicht. Die Erlassregelungen gelten auch nicht für Betroffene, die mittlerweile wieder in Deutschland leben – Nick Courtman, der heute hier ist, ist so ein Beispiel -; denn dafür sind die Länder zuständig, und der Bund hat keine Weisungsbefugnis.

Das zeigt: Die Erlassregelungen führen das unübersichtliche Flickwerk der bisherigen Regelung fort. Zudem versprechen sie lediglich eine – Zitat – „wohlwollende Handhabung“ der Einbürgerungsanträge. Es geht aber darum, dass wir den Betroffenen einen Rechtsanspruch gewähren. Die Linke findet: Die Nachfahren von NS-Opfern verdienen nicht Gnade, sondern Recht, und dafür brauchen wir ein Gesetz.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland ist in der Bringschuld. Es muss Wiedergutmachung leisten, wo immer sie möglich ist, und zwar bedingungslos.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)