Rede: Keine rassistische Stigmatisierung von Mitgliedern sogenannter „krimineller Clanfamilien“!

107. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, 27. Juni 2019 – TOP 5 Konsequentes Vorgehen gegen kriminelle Clanfamilien zum Schutz von Bürgern und Rechtsstaat (AfD)

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sehen an dieser Debatte: Die AfD bleibt sich treu,

(Dr. Alice Weidel (AfD): Ja!)

wenn es darum geht, mit der Angst der Bevölkerung zu spielen. Was gar nicht geht, meine Damen und Herren, ist, dass man permanent Migration mit Kriminalität vermischt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was mich sehr gewundert hat, Herr Kollege Kuhle, ist, dass die FDP mit ihrem Antrag auf diesen Zug aufgesprungen ist.

(Konstantin Kuhle (FDP): Der ist ja sehr viel besser! – Christoph de Vries (CDU/CSU): Ein Trittbrettfahrer!)

– Ja, in einigen Punkten muss ich das in der Tat sagen; da werde ich noch drauf kommen.

(Konstantin Kuhle (FDP): Aha!)

Aber mich wundert, dass man vonseiten der FDP den Duktus dieser Debatte mitträgt,

(Konstantin Kuhle (FDP): Das Gegenteil ist richtig!)

der von der AfD initiiert und natürlich ganz klar rassistisch ist.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Alexander Gauland (AfD): Endlich! Das hätten Sie gleich sagen müssen, Frau Jelpke! Das ist wunderbar!)

Es kann keine Frage sein: Organisierte Kriminalität muss bekämpft werden,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

egal ob im Nadelstreifenanzug, unter der Rockerkutte oder im Familienverband.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Kommen wir zum Begriff „Clankriminalität“. Selbst das BKA benutzt diesen Begriff nicht.

(Konstantin Kuhle (FDP): Ja! Leider!)

– Was heißt hier „leider“? – Man muss sagen: Dieser Begriff ist vor allen Dingen von der Boulevardpresse benutzt worden,

(Dr. Alice Weidel (AfD): Wir finden das selber natürlich auch sehr schade!)

und er ist bisher weder kriminologisch – das sollten Sie wissen, Herr Kuhle – noch wissenschaftlich definiert.

(Konstantin Kuhle (FDP): Wie erklären Sie es denn?)

Deswegen meine ich: Es ist richtig, dass das BKA diesen Begriff Clankriminalität nicht benutzt; denn er ist irreführend und diskriminierend.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit werden Familienzusammenhänge aus bestimmten Kulturkreisen pauschal als kriminell abgestempelt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Linke wehrt sich dagegen, Menschen in Mithaftung zu nehmen, nur weil sie denselben Namen tragen wie straffällig gewordene Verwandte.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will ein Beispiel geben. Die „Bild“-Zeitung titelte kürzlich: „200 000 kriminelle Clan-Mitglieder in Deutschland!“ Hintergrund war eine interne polizeiliche Schätzung, wonach alle Großfamilien, aus denen einzelne Mitglieder kriminell aufgefallen sind, zusammen 200 000 Familienangehörige umfassen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU): Ein großes Herz für die Clans!)

In der Zahl enthalten sind also auch diejenigen Mitglieder, die gesetzestreu in unserem Land leben. Diese Behauptung ist also schlicht und einfach unzulässig und rassistische Sippenhaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Man muss sich doch einfach mal vorstellen, was es bedeutet, mit einem Namen, der durch die Medien geht, Arbeit zu suchen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Das ist eine Stigmatisierung, und diese Familienmitglieder dürfen eben einfach nicht gleichgesetzt werden mit der kriminellen Familienverwandtschaft.

Meine Damen und Herren, Ausweisungen und Abschiebungen – das ist ja immer das einzige Konzept, was die AfD hier vorzutragen hat – lösen nicht das Problem; denn die sogenannte Clankriminalität in der Bundesrepublik ist in der Tat hausgemacht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU): Ach! Sind wir dran schuld!)

Die Kollegin hat es eben hier vorgetragen – Herr Kuhle, das habt ihr zu Recht im Antrag drin -: Das ist die Folge einer verfehlten oder besser gesagt fehlenden Sozial- und Integrationspolitik.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Konstantin Kuhle (FDP) – Dr. Alexander Gauland (AfD): Ja! – Christoph de Vries (CDU/CSU): Da steht die Allianz aus Linken und FDP!)

Die Verdächtigen, über die wir hier gerade sprechen, stammen meist aus Einwandererfamilien, die vor 30 oder 40 Jahren aus Palästina oder dem Libanon nach Deutschland geflohen sind. Doch hier waren sie unerwünscht. Statt ihnen Asyl und sicheren Aufenthalt zu geben, ließ man sie viele Jahre lang in prekären Kettenduldungen hängen. Der Zugang zu Arbeit war ihnen und ihren hier geborenen Kindern damit meist verwehrt. Abgeschnitten vom regulären Arbeitsmarkt besetzten sie Nischen in der sogenannten Schattenökonomie. Einige von ihnen begannen, kriminellen Geschäften nachzugehen.

Auch Perspektivlosigkeit und fehlende Integrationsmöglichkeiten können Menschen in die Kriminalität treiben. Das soll keine Rechtfertigung sein für kriminelle Taten, aber sehr wohl die Warnung mit Blick auf diejenigen Geflüchteten, die Schutz suchen und die gerade in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, das nicht einfach zu wiederholen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, in den letzten Monaten fanden in der Tat einige Großrazzien statt, zum Beispiel in den Shisha-Bars. Ich will einfach mal vortragen, was dabei rausgekommen ist: einige Verstöße gegen das Tabaksteuergesetz, einige Fälle von Schwarzarbeit, in einigen Shisha-Bars eine zu hohe Konzentration von Kohlenmonoxid. Das ist in der Tat gesundheitsgefährdend, aber mit organisierter Kriminalität hat das wirklich nichts zu tun; das muss man hier auch mal klar auseinanderhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Solche Razzien sollen vor allen Dingen bei einer aufgeschreckten Öffentlichkeit den Eindruck von Tatendrang vermitteln, doch in erster Linie werden sie vor allen Dingen dazu dienen, dass Menschen, die in die Shisha-Bars gehen, kriminalisiert und eingeschüchtert werden, und das halten wir für völlig falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wenn man schon über Clans redet – es ist ja interessant, dass solche Debatten hier gar nicht aufkommen oder, wenn überhaupt, mal am Rande -, dann muss man auch darüber reden, welche Clans sich zum Beispiel in den Industriebereichen entwickelt haben, wo vernachlässigt wird, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen.

(Christoph de Vries (CDU/CSU): Bitte?)

Ich will zum Beispiel die Familie Quandt erwähnen, deren Name jetzt gerade wieder durch die Medien geht.

(Dr. Bernd Baumann (AfD): Die vergleichen Sie mit den Clans? – Dr. Alexander Gauland (AfD): Eine Unverschämtheit! Es ist unfassbar!)

– Dass ihr euch darüber aufregt.

(Dr. Alexander Gauland (AfD): Es ist unfassbar! Die Kommunisten unter sich! – Dr. Alice Weidel (AfD): Unglaublich! – Marian Wendt (CDU/CSU): Die Träger unseres Wohlstands! – Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Reden Sie mal zum Thema!)

– Seien Sie ruhig. – Diese Familie hat ihr Vermögen im Grunde genommen durch Zwangsarbeit und durch Enteignung im Faschismus erworben.

(Christoph de Vries (CDU/CSU): Faschismus? – Marian Wendt (CDU/CSU): Eine erbärmliche Rede! – Dr. Alexander Gauland (AfD): Hören Sie auf, zu reden, Frau Jelpke! Es ist unerträglich!)

Aber auch darüber hinaus findet organisierte Kriminalität statt, und es entsteht gesellschaftlicher Schaden durch Steuerhinterziehung und vor allen Dingen durch Mietwucher sowie Schaden im ökologischen Bereich und im Umweltbereich. Fangen Sie auch dort an, organisierte Kriminalität zu bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Dr. Alexander Gauland (AfD): Unfassbar!)