Gegen Autoritäten

Die Revolte von 1968 in der Bundesrepublik lässt sich weder auf ein Kulturphänomen noch auf eine Studentenbewegung reduzieren

Beitrag von Ulla Jelpke in junge Welt vom 19.6.2018

Ein halbes Jahrhundert nach »68« sind die Medien wieder voll mit Berichten über die damaligen Ereignisse. Die Protestbewegung und ihre bekannten Akteure werden entweder verunglimpft und der Lächerlichkeit preisgegeben oder dämonisiert und für alle Übel der Gegenwart verantwortlich gemacht. Jörg Meuthen, inzwischen AfD-Bundessprecher, gab die Richtung schon im April 2016 auf einem Parteitag in Stuttgart vor: Die AfD wolle »weg vom links-rot-grün versifften 68er-Deutschland«. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der Anfang des Jahres eine vermeintliche linke Meinungsvorherrschaft infolge des Marsches der 68er durch die Institutionen beklagte und eine »konservative Revolution der Bürger« gegen die »linke Revolution der Eliten« ausrief, gehört zu den Dämonisierern. Dem steht eine andere, im liberalen politischen Lager zu verortende Gruppe gegenüber, die die Erfolge der Bewegung von 1968 und die Aktualität der damaligen Forderungen herunterspielt. Beiden gemeinsam ist, 1968 in der Bundesrepublik vor allem auf ein Kulturphänomen zu reduzieren.In Talkshows wird uns Exkommunarde Rainer Langhans als Vorzeige-68er präsentiert. Das Ziel sei es gewesen, in Abgrenzung zur Elterngeneration mit »Liebe und Zärtlichkeit« »den Nazi in sich zu bekämpfen«, klärt Langhans das nachgeborene Publikum auf. Natürlich waren auch er und die antiautoritäre »Kommune 1« ein Teil von 1968. Doch mit Langhans wird vor allem die Karikatur eines »68ers« präsentiert – mit dem Ziel, andere Inhalte der Bewegung, die den Herrschenden bis heute unbequem erscheinen, zu verdrängen. Es ging in den 1960er Jahren weniger darum, den »Nazi in uns« zu bekämpfen, als die beschwiegenen Verbrechen der Nazis und ihre ungebrochenen Karrieren in der Bundesrepublik zu thematisieren, das Fortleben faschistischer Traditionen in Politik und Gesellschaft zu entlarven und den »Muff von tausend Jahren« unter den Talaren ganz praktisch zu beseitigen. Wir wollten nicht nur wissen, was die Elterngeneration verschwieg, sondern auch, welche Kräfte dem Faschismus zur Macht verholfen hatten. Wir fragten dabei nicht nur nach der psychologischen Prägung des autoritären Charakters, sondern auch danach, wer Hitler bezahlt hatte und wie das Großkapital von der Nazidiktatur und ihren Verbrechen profitierte.

NPD verhindert

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) gehörte als Keimzelle der späteren Außerparlamentarischen Opposition (APO) bereits Anfang der 1960er Jahre zu den wenigen politischen Gruppen, die sich mit der faschistischen Vergangenheit auseinandersetzten. Doch diese Beschäftigung war in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre längst nicht mehr nur Aufarbeitung des Geschehenen. Denn Ende 1964 hatte sich mit der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) eine Organisation gegründet, die als Sammelbecken früherer NSDAP-Mitglieder fungierte. Aus dem Stand erhielte sie bei den Bundestagswahlen 1965 zwei Prozent der Wählerstimmen. Zwischen 1966 und 1968 gelang ihr der Einzug in sieben Landesparlamente, in Baden-Württemberg sogar mit fast zehn Prozent.

Für linke Lehrlinge und Studenten war das sichtbare Wiederaufleben einer faschistischen Partei ein Schock. Gemeinsam mit anderen zog ich damals durch die Straßen Hamburgs, um die hetzerischen Plakate der Nazipartei abzureißen – immer bereit, die Beine in die Hand zu nehmen, wenn ein Polizeiwagen oder gar Nazischläger unseren Weg kreuzten. Eine fünfwöchige Wahlkampftour des NPD-Vorsitzenden Adolf von Thadden anlässlich des Bundestagswahlkampfes 1969 genügte dann, um das bieder-konservative Image, das sich die Partei zu geben bemüht war, weitgehend zu zerstören. Überall, wo von Thadden auftrat, wurde er mit Eiern und Tomaten beworfen, und es ertönte die Parole, »ein Adolf war genug«. Der mit Schlagstöcken ausgerüstete Ordnerdienst der Partei prügelte im Juli 1969 bei einer Versammlung in Frankfurt Gegendemonstranten bis zur Bewusstlosigkeit. Einmal schoss dessen Leiter sogar mit einer scharfen Waffe auf Antifaschisten. Die Bilder der prügelnden Ordner gingen durch die deutsche und internationale Presse. Schließlich scheiterte die NPD bei der Bundestagswahl mit 4,3 Prozent der Wählerstimmen an der Fünfprozenthürde. Selbst der Politologe Wolfgang Kraushaar, der als »Ehemaliger« kaum ein gutes Haar an der 68er-Bewegung lässt, gesteht ihr zu, den Einzug der NPD in den Bundestag verhindert und so die Bildung der sozialliberalen Regierungskoalition ermöglicht zu haben.

Neben der Auseinandersetzung mit dem alten und neuen Faschismus stand die Verteidigung von Bürgerrechten im Zentrum der außerparlamentarischen Proteste, die später in die 68er-Bewegung mündeten. Die Erfahrung mit der Staatsgewalt und einer sich über alle Bedenken dampfwalzenartig hinwegsetzenden Regierungskoalition trug viel zur Radikalisierung von Menschen bei, die oft aus einem bürgerlich-demokratischen und liberalen Selbstverständnis heraus begannen, sich politisch zu engagieren. Am 1. Dezember 1966 hatte sich in Bonn die erste Große Koalition aus Union und SPD gebildet. Bundeskanzler wurde das Ex-NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger von der CDU. Die Koalition zielte darauf ab, bereits lange zuvor diskutierte Notstandsgesetze, die bis dahin keine Mehrheit im Parlament gefunden hatten, zu verabschieden. Im Verteidigungsfall, aber auch bei inneren Unruhen und Naturkatastrophen sollten die Stellung der Regierung gegenüber dem Parlament deutlich gestärkt, Grundrechte eingeschränkt und Regelungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inland getroffen werden. Diese Pläne zu einer präventiven Konterrevolution stießen auf den Widerstand einer Bürgerrechtsbewegung, die von Studenten bis zu Gewerkschaftern reichte. Ein Kuratorium »Notstand der Demokratie« warnte vor diktatorischen Zügen, die der Staat durch die Notstandsgesetze erhalte. Insbesondere die sich radikalisierenden Studenten betrachteten Verfassung und Gesetze nicht als Instrumente zum Schutze der Bürger, sondern vielmehr als Machtmittel eines autoritären Staates. »SPD und CDU: Lasst das Grundgesetz in Ruh!« ertönte auf den Kundgebungen. Am 11. Mai 1968 demonstrierten Zehntausende mit einem Sternmarsch auf Bonn, darunter auch prominente wie Heinrich Böll. Trotz der großen Proteste stimmte der Bundestag am 30. Mai 1968 mit der verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit der Großen Koalition für die Notstandsgesetze.

Kampf dem Patriarchat

Der Kampf der APO gegen den autoritären Staat fand seine Parallele im Hinterfragen von »Autoritäten« wie Eltern, Pfarrern, Staatsanwälten – auch Ehemännern. Nicht nur allgemeine Bürgerrechte wurden eingefordert, sondern Frauenrechte, eine selbstbestimmte Sexualität und eine liberale Kindererziehung. Einerseits stieg nach dem Zweiten Weltkrieg die Zahl erwerbs- und berufstätiger Frauen ebenso wie die der Studentinnen. Andererseits verharrte die Gesellschaft noch in den alten patriarchalen Strukturen. Frauen waren für den Haushalt und die Kinderbetreuung verantwortlich. Die gesetzlichen Beschränkungen, denen Frauen zum Teil bis in die 1970er Jahre hinein unterlagen, sind heute kaum vorstellbar. Nur wenn dies mit ihren »Pflichten in Ehe und Familie« vereinbar war, durften Frauen laut Gesetz außer Haus arbeiten. Und dann verdienten sie oft in sogenannten Leichtlohngruppen bis zu 40 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Vom Bundesgerichtshof war 1966 die sexuelle Verfügbarkeit einer verheirateten Frau als »eheliche Pflicht« definiert worden. Eine Frau, die auf Antrag ihres Mannes wegen Ehebruchs geschieden wurde, verlor zudem das Sorgerecht für ihre Kinder. Vorehelicher Sex wurde strafrechtlich verfolgt, ein Schwangerschaftsabbruch galt nach dem Paragraphen 218 als Verbrechen. Minderjährige Schwangere wurden selbst nach einer Vergewaltigung zur Geburt und anschließenden Freigabe ihres Kindes zur Adoption genötigt. Zudem sperrte man die vor sexueller Gewalt Schutzsuchenden in Heime für vermeintlich »Schwererziehbare«. Erfahrungen, die auch die Autorin zum Teil selbst machen musste. Die knastähnlichen Jugenderziehungsanstalten, die von pädagogisch nicht ausgebildetem Personal geführt wurden, konnten aber auch zu Keimzellen des Protestes gegen die Autoritäten werden. Ulrike Meinhofs 1970 veröffentlichtes Fernsehspiel »Bambule« über die Revolte in einem Westberliner Mädchenheim handelt davon.

Wir mussten damals unseren Kampf nicht nur gegen die patriarchalen Autoritäten in Staat, Kirche und Familie führen, sondern auch gegen die eigenen Genossen in den linken Gruppierungen und Verbänden. Erinnerst sei an den Tomatenwurf von Sigrid Rüger auf die männlichen Genossen auf dem Podium während eines SDS-Delegiertenkongresses im September 1968. Der konkrete Anlass war die Weigerung der Männer, eine Rede der SDS-Aktivistin und Sprecherin des »Aktionsrates zur Befreiung der Frau«, Helke Sanders, über den SDS als Spiegelbild einer männlich geprägten Gesellschaftsstruktur selbstkritisch zu diskutieren. Rügers Tomatenwurf war die Initialzündung zur Bildung von sogenannten Weiberräten und Frauengruppen in mehreren Universitätsstädten, den Keimzellen einer neuen westdeutschen Frauenbewegung. Anders als zuvor wurden nicht nur gleiche Rechte eingefordert, sondern die tieferen Ursachen patriarchaler Unterdrückung und ihre Zusammenhänge mit der kapitalistischen Ausbeutung hinterfragt. Unser Anspruch war nicht mehr nur, unsere Hälfte des Kuchens zu bekommen, sondern die ganze Gesellschaft grundlegend zu verändern. Unser Feminismus wurde sozialistisch.

Einen zweiten Mobilisierungsschub erhielt die neue Frauenbewegung 1971 mit der Kampagne gegen den Paragraphen 218. Initiiert von Alice Schwarzer bekannten 374 Frauen in der Zeitschrift Stern: »Ich habe abgetrieben«. Während die APO und die 68er-Bewegung im Kampf gegen die Notstandsgesetze scheiterte, war die Frauenbewegung erfolgreicher – nicht zuletzt in bezug auf Gesetzesänderungen der 1969 ins Amt gekommenen sozialliberalen Koalition. So wurden der Homosexualität unter Strafe stellende Paragraph 175 reformiert, der Paragraph 218 liberalisiert und eine Eherechtsreform eingeleitet. Aber dies waren nicht nur Siege der Frauenbewegung, sondern auch Erfordernisse eines sich modernisierenden Kapitalismus, der zunehmend auf flexible weibliche Arbeitskräfte angewiesen war und sich dafür vormoderner Fesseln entledigen musste.

Wirtschaftskrise

Die 68er-Bewegung war nicht nur eine der Studenten. Das hatte auch ökonomische Gründe. Das sogenannte Wirtschaftswunder der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg war in den 1960er Jahren zunächst in eine Stagnationsphase und 1966/67 in eine Wirtschaftskrise übergegangen. Erstmals seit der Nachkriegszeit sank das Bruttosozialprodukt, und die Arbeitslosenquote stieg auf 2,1 Prozent. Heute erscheint uns das lächerlich, doch damals war das für viele ein regelrechter Schock. Es kam nach Jahren der Ruhe wieder zu Streiks – auch solchen, die von Arbeiterinnen mit der Forderung nach gleichen Löhnen organisiert wurden. Von den Studentenprotesten fühlten sich Lehrlinge und junge Arbeiter angesprochen, die ebenfalls auf die Straße gingen und begannen, sich zu organisieren. Als »Lehrling« – wie Auszubildende damals noch genannt wurden – im Friseurhandwerk hatte ich mich in der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen organisiert. Wir jungen Mitglieder stritten für eine höhere Ausbildungsvergütung und bessere Qualität der Lehre, weil die Lehrlinge oft als billige Arbeitskräfte missbraucht wurden. Über das gewerkschaftliche Engagement fand ich später zum Sozialistischen Arbeiter- und Lehrlingszentrum (SALZ) in Hamburg.

Ende Mai 1967 besuchten der Schah von Persien und seine Frau die Bundesrepublik. Während die Boulevardpresse das Paar in den buntesten Farben als exotische Märchenkönige pries, hatte es schon in den Wochen vor dem Besuch regelmäßige Proteste gegen das prowestliche Folterregime in Teheran gegeben. Viele Iraner, die Gegner des Schah-Regimes waren, studierten in Deutschland, und die sozialistische »Konföderation iranischer Studenten« unterhielt enge Beziehungen zum SDS. Auch in Hamburg gingen wir schon im Vorfeld des Schah-Besuchs jeden Samstag auf die Straße. Beliebtes Mittel waren nicht angemeldete Demonstrationen, zu denen plötzlich Leute aus allen Himmelsrichtungen mit Plakaten und Parolen zusammenströmten und die sich dann beim Erscheinen der Polizei ebenso plötzlich in nahe gelegene Kaufhäuser zerstreuten.

Immer wieder kam es bei den Protesten auch zu wilden Prügeleien mit der Polizei. Prägend für die spätere Außerparlamentarische Opposition waren die tödlichen Schüsse auf Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 vor der Deutschen Oper in Westberlin und die unter den Augen der Polizei mit Holzlatten auf Gegendemonstranten einprügelnden »Jubelperser«. Der Krieg der USA in Vietnam war das andere große internationalistische Thema. Indem wir auf die Kriegsverbrechen der US-Soldaten hinwiesen, rührten wir an einem Tabu der alten Bundesrepublik. Kritik am großen Bruder in Washington galt als unschicklich. Schließlich galten die USA als Schutzmacht vor dem von allen Bundestagsparteien und der bürgerlichen Presse verteufelten Kommunismus. Ging es bei den Protesten gegen den Schah noch um die Anprangerung von Folter und Unterdrückung und somit um die Frage der Menschenrechte, fand im Falle Vietnams eine direkte Identifikation mit der Befreiungsbewegung unter der Führung des Kommunisten Ho Chi Minh statt. Der Internationale Vietnamkongress des SDS an der Freien Universität Berlin im Februar 1968 stand unter dem Motto »Für den Sieg der vietnamesischen Revolution. Die Pflicht jedes Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen«. Der Volkskrieg in Vietnam wurde als Teil der sozialistischen Weltrevolution verstanden, die viele »68er« anstrebten.

Dieses Selbstverständnis rief auch den Gegner auf den Plan. Die protestierenden Lehrlinge und Studenten wurden nun nicht mehr nur als Querulanten und Nestbeschmutzer gesehen, sondern als fünfte Kolonne des sozialistischen Lagers. In Reaktion auf eine Vietnam-Demonstration des SDS mobilisierte der Westberliner Senat am 21. Februar 1968 vor dem Schöneberger Rathaus zu einer antikommunistischen »Freiheitskundgebung«. Dort kam es zu Jagdszenen der durch die Frontstadtpresse aufgehetzten Bürger auf vermeintliche linke Studenten.

Insbesondere Bild, die bereits 1967 Stimmung gegen die Anti-Schah-Proteste gemacht und nach der Ermordung Ohnesorgs den Studenten »SA-Methoden« unterstellt hatte, hetzte immer offener gegen die Protestbewegung. Ihr Ruf »Stoppt den Terror der Jungroten jetzt!« und der Nachsatz »… man darf auch nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen« wurden von dem arbeitslosen jungen Neonazi Josef Bachmann umgesetzt. Am 11. April 1968 schoss er Rudi Dutschke mit den Worten »Du dreckiges Kommunistenschwein« auf dem Berliner Kurfürstendamm nieder. Dutschke überlebte den Anschlag zwar, doch sein Tod elf Jahre später war auch auf die Spätfolgen der davongetragenen Verletzung zurückzuführen. Bereits im Sommer 1967 hatte der SDS eine Kampagne gegen den Springer-Konzern angekündigt und erklärt: »Wir werden in einem Pressetribunal den empirischen Nachweis führen, dass die Volksverhetzung und Entmündigung der Menschen durch Manipulation bei uns die Ergänzung zum Völkermord in Vietnam (…) darstellen. (…) Der tägliche Gang zum Bild– oder B. Z.-Kiosk gehört zur Lebensweise des verwalteten Individuums.« Die Schüsse Bachmanns, der sich als regelmäßiger Bild-Leser outete, gaben den endgültigen Anstoß zur Kampagne »Enteignet Springer«, in deren Rahmen die Auslieferung des Blattes in einigen Städten durch Blockaden verhindert wurde. Ich stand damals geschockt am Rande des Springer-Hauses in Hamburg, als Polizisten mit Holzknüppeln auf die Demonstranten losgingen, die wiederum mit Steinen antwortete.

Das Erbe verteidigen

Viele 68er sind längst zu Renegaten geworden, die imperialistischen Kriegen rechtfertigen und neoliberaler Ausbeutung das Wort reden. Einige wenige sind gar zu Nazis mutiert, die nun versuchen, auch Rudi Dutschke anhand aus dem Zusammenhang gerissener Zitate zu einem Nationalisten umzudeuten. Viele Wendehälse haben versucht, die Geschichte umzuschreiben, um Karrierehindernisse zu beseitigen oder mit ihren eigenen Biographien ins reine zu kommen. Es gilt weiterhin das Erbe von 1968 zu verteidigen. Denn die meisten der in jener Zeit aufgeworfenen Fragen haben nichts von ihrer Aktualität verloren. Schockte 1969 die NPD mit ihrem drohenden Einzug in den Bundestag, so ist die AfD heute in 14 von 16 Landesparlamenten und dem Bundestag vertreten. Die Notstandsgesetze haben weiterhin Gültigkeit, sind jedoch längst in den Schatten eines umfassenden Grundrechteabbaus im Namen der Terrorbekämpfung getreten. War damals der Schah von Persien der bevorzugte Folterfreund des Westens, so ist dies heute der Möchtegern-Sultan Recep Tayyip Erdogan in Ankara. Und Bild und Co. hetzen weiter, heute bevorzugt gegen Flüchtlinge, Arme und natürlich: »linke Chaoten«. Die Ziele, die wir uns 1968 gesetzt hatten, mögen in manchem voreilig gewesen sein. Ich verfolge sie auch heute noch.