Artikel: Beweislast umgedreht

Alles nur bedauerliche Einzelfälle: Niemals würde das BKA widerrechtlich Daten über unschuldige Bürger sammeln, versicherten dessen Chef Holger Münch und Innenminister Thomas de Maizière am Dienstag bei der Sondersitzung des Innenausschusses im Bundestag. Nur im Fall von vier Journalisten sei es leider zu falschen Dateieinträgen gekommen.

Dabei genügt ein Blick in die gesetzlichen Grundlagen, um das Gegenteil zu erfahren. Ein Eintrag als »Linksextremist« bleibt bestehen, auch wenn das Verfahren eingestellt wird. Es könnte ja ein Restverdacht nicht ausgeräumt sein. Wird vor Ablauf der Löschfristen ein neuer Vorwurf erhoben, verlängert sich die Speicherdauer automatisch, egal, ob auch der zweite Vorwurf unbewiesen bleibt.

Von Gesetzes wegen muss ein Eintrag nur bei erwiesener Unschuld gelöscht werden. Aber auch das passiert häufig nicht, weil die Polizei meist nicht über die Gründe für eine Verfahrenseinstellung informiert werde. Das sei eine »Schwachstelle«, die man beseitigen müsse, so Münch. Interessant, denn auf diese Schwachstelle hatte die Linksfraktion in einer Anfrage schon vor zwei Jahren hingewiesen und die Antwort erhalten: Das BKA sei jetzt in der Lage, die Dateien »fortwährend zu prüfen« und eine »datenschutzrechtlich konforme Speicherung zu gewährleisten«. Das war wohl nix. Damals war herausgekommen, dass 90 Prozent des Bestandes in der Datei »Politisch motivierte Kriminalität links« rechtswidrig gespeichert waren.

Sicher: Bei manchen Salafisten oder Neonazis erscheint ein Eintrag in polizeiliche Datenbanken auch vor einer Verurteilung gerechtfertigt. Aber ein Automatismus zwischen einer womöglich nur aus der Luft gegriffenen Beschuldigung und einer jahrzehntelangen Speicherung stellt faktisch die Unschuldsvermutung auf den Kopf. Das kann gravierende Folgen für die Betroffenen haben: nicht nur bei der Berufsausübung als Journalisten, sondern für alle Angestellten in sicherheitsrelevanten Bereichen, und für Personen, die in Polizeikontrollen geraten.

Eine Bereinigung des Dateibestandes sei nicht nötig, meinen Innenminister und BKA: In ein paar Jahren würden die Dateien sowieso umgestellt. Richtig, dann soll es nämlich einen großen »Datenpool« geben, der jenseits von konkreten Zweckbindungen eine noch großzügigere Verknüpfung der einzelnen Einträge erlaubt. Auch ein Projekt, das die Datenschutzbeauftragte für verfassungswidrig hält.

Schlimmer noch als das BKA agiert indes der Verfassungsschutz. Auf dessen Konto ging die Hälfte der Akkreditierungsrücknahmen beim Hamburger Gipfel. Die Datenschutzbeauftragte wartet noch auf die Gründe dafür – seit zwei Monaten schweigt sich der Geheimdienst aus. Klar ist nur eins: Wenn es um großangelegten Datenmissbrauch durch Polizei und Geheimdienste geht, ist sich die große Koalition einig.