Rotlicht: Innere Sicherheit

Über »innere Sicherheit« redet heutzutage jeder Politiker, je konservativer, desto häufiger. Aber was der Begriff eigentlich meint, bleibt unklar. Eine allgemeinverbindliche Definition gibt es nicht. Hinsichtlich der Praxis ist allerdings ein Bedeutungswandel unverkennbar.

Als der Begriff in den 1960er Jahren in der BRD geprägt wurde, stand noch die Abwehr von Bedrohungen des Staatswesens aus dem Inneren heraus im Vordergrund – also durch die außerparlamentarische Opposition (APO) und später insbesondere die Anschläge der Roten Armee Fraktion (RAF). Die Reichweite der inneren Sicherheit endete an der Staatsgrenze. Die relevanten Akteure waren Polizei und Geheimdienste, und deren Zielgruppe, also die vermeintlichen Gefährder der inneren Sicherheit, waren trotz aller Willkür einigermaßen klar definiert. Inzwischen ist innere Sicherheit weitgehend entgrenzt.

Früher trat Sicherheitspolitik fast nur im Begriffspaar »Außen- und Sicherheitspolitik« auf – heute ist diese Trennung obsolet. Mit der Formel von der »vernetzten« Sicherheit wird zum einen die Zusammenarbeit mit der Armee begründet, zum anderen wird inzwischen das ganze Gebiet der Europäischen Union als Feld der »inneren« Sicherheit verstanden. Im Namen dieser tauschen europäische Polizeien und Geheimdienste untereinander und mit ihren »Partnern« in aller Welt Daten aus, selbstverständlich ohne dass die demokratischen Kontrollrechte der Unionsbürger und -parlamente damit Schritt hielten.

Längst strebt man danach, auch die von zivilen Behörden und privaten Unternehmen gesammelten Daten für die innere Sicherheit nutzbar zu machen. Beispiele hierfür sind die Fluggastdaten, die von zivilen Gesellschaften explizit für polizeiliche Zwecke erhoben und bereitgestellt werden (bislang nur für die USA, bald auch die EU), die Diskussion um die polizeiliche Verwertung von Mautdaten oder die Ausweitung von Videoüberwachung. Der Grundgedanke der Zweckbindung von Daten bleibt dabei auf der Strecke. Heute müssen sich Datenschützer »Täterschützer« nennen lassen. Die innere Sicherheit selbst wird mehr und mehr als eigenständiges Grundrecht gedacht. 2013 sprach der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) von einem »Supergrundrecht«, obwohl es im Grundgesetz nicht einmal erwähnt wird.

Der Übergang von der reaktiven Bekämpfung der Gegner der inneren Sicherheit hin zu ihrer präventiven Bekämpfung ist längst getan, entgrenzt ist auch die Zielgruppe: Vorratsdatenspeicherungen treffen alle. Weil Frau Müller irgendwann in der Zukunft vielleicht einmal verdächtig werden könnte, will man jetzt schon ihre Daten haben.

Dermaßen außer Rand und Band, ist innere Sicherheit mittlerweile selbst zur Gefahr für die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft geworden. Denn sie wird fast nur noch als Schutz gegen die illegitime Gewalt seitens Terroristen wahrgenommen, aber kaum noch als Beitrag zum Schutz der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger.

Geschieht ein Anschlag, wird umgehend eine vermeintliche »Sicherheitslücke« geschlossen, ohne zuvor nach tatsächlichen Ursachen zu fragen und realistische Bedrohungsanalysen vorzunehmen. Es nützt aber nichts. Die Anschläge gehen weiter, und es folgen neue Gesetzesverschärfungen. Eine Kosten-Nutzen-Rechnung wird erst gar nicht aufgestellt – am Ende inszeniert sich der Staat als die totale Sicherheit versprechender Leviathan.

Was als Ausdruck von innerer Sicherheit gilt, wird sozial konstruiert und ist somit auch Ausdruck von Klassenkämpfen. Deswegen sind derzeit die offiziellen Sicherheitsbehörden mit ihren Interessen am Drücker. Eine linke Politik der »inneren Sicherheit« hätte dagegen auch Aspekte wie soziale Sicherheit, Umweltsicherheit und Sicherheit vor familiärer oder sexueller Gewalt und ökonomischer Ausbeutung in den Mittelpunkt zu stellen.