Artikel: Terrorsaat

Rassisten zündeln, der Staat schiebt ab

Von Ulla Jelpke (erschienen am 24.10.2015)

Man kann dem Tempo kaum noch folgen, in dem die Zahl der Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte nach oben schnellt. 198 Anschläge wurden im vergangenen Jahr gezählt, 2015 aber schon 576. Und das sind, wie üblich, nur diejenigen, die von den Polizeibehörden erfasst werden. Das antifaschistische Info- und Bildungsarchiv Apabiz in Berlin hat in einer Studie für die Linksfraktion im Bundestag die Zahlen des Bundeskriminalamts (BKA) mit eigenen Recherchen verglichen. Ergebnis: Die unabhängig ermittelte Zahl lag rund zehn Prozent höher. Besonders dramatisch war der Unterschied ausgerechnet bei den schwersten Delikten. Während das BKA von 31 Brandstiftungen sprach, kam das Apabiz auf 63. Die Angaben beziehen sich auf den Zeitraum bis Juni, inzwischen zählt das BKA offiziell 46 Brandstiftungen, tatsächlich dürften es rund 100 sein.

Die Sicherheitsbehörden hinken bei der Erfassung neofaschistischer Anschläge hinterher, das hat in Deutschland Tradition. Man ist schon froh, dass das BKA endlich den Zusammenhang von rassistischen Aufmärschen vom Typ Pegida und rechten Brandanschlägen »entdeckt«. Selbst der Bundesinnenminister warnt inzwischen vor der Bildung neuer rechter Terrorzellen.

Als Konsequenz, verlautete am Freitag aus Koalitionskreisen, soll nun der Verfassungsschutz aufgestockt werden. Also ausgerechnet jene Behörde, die im Wegschauen, wenn sich Neonazis breitmachen, wahre Meisterschaft erlangt hat. Die Angehörigen der von den NSU-Terroristen Ermordeten und die Opfer, die überlebten, dürften das als Hohn empfinden.

 Denn auch heute noch sieht das Bundesamt rechte Verfassungsgegner praktisch nur dort, wo ein Hakenkreuz zu erkennen ist. Im gleichen Zeitraum, in dem das apabiz allein im Land Berlin 56 rassistische Kundgebungen gegen Flüchtlinge zählte, wollte die Behörde nur von dreien dieser Aufmärsche Kenntnis genommen haben. Der Chef des sächsischen Geheimdienstablegers nimmt sich daran ein Beispiel, wenn er Pegida einen Persilschein ausstellt. Er behauptet, die Bewegung der Antiasylhetzer sei nicht »extremistisch«, es gebe dort lediglich eine »stark emotionale Grundstimmung«. Die Schaffung von mehr Stellen für solche »Verfassungsschützer« ist ein Bärendienst im Kampf gegen den hasserfüllten Rassismus, der sich auch in der Mitte der Gesellschaft festsetzt. Denn 70 Prozent derjenigen, die bei Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte gestellt wurden, sollen keineswegs polizeibekannte Neonazis sein, sondern erst kürzlich Radikalisierte – auch ein Effekt der Hetze von Pegida.

Die Bundesregierung hat am Freitag angekündigt, die beschlossene Verschärfung ihrer Asylpolitik ab sofort umzusetzen und Abschiebungen »im größeren Stil« vorzunehmen. Sarkastisch könnte man sagen: Je mehr Flüchtlinge abgeschoben werden, desto weniger können den Rassisten zum Opfer fallen. Tatsächlich aber ist das ein fatales Signal: Die Rassisten zündeln, der Staat schiebt ab.