Kommentar: Herrschaftslogik

Irgendwann brannte ein leerstehendes Hotel. Wer bei diesen Protesten dabei war, weiß genauso wie die vielen friedlichen Demonstranten beim Castor, bei »Stuttgart 21«, beim Neonaziaufmarsch in Dresden: Es ist in allererster Linie die Staatsmacht, die das »Aggres­sionsniveau« erhöht.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz geriert sich als (partei-)politisches Instrument, das jegliche fundamentale Kritik am herrschenden Staatskurs für »extremistisch« erklärt. Das gilt insbesondre, wenn man das kapitalistische Wirtschaftsmodell in Frage stellt, wofür es angesichts von Umweltzerstörung, Hunger und Ausbeutung Millionen guter Gründe gibt. Das Bundesamt schreibt diesem Wirtschaftssystem willkürlich Verfassungsrang zu. Damit ist jede Antifagruppierung und jede antimilitaristische Initiative, die über Symptombekämpfung hinausgreift und die Frage nach den wirtschaftlichen Gründen für die bekannten Mißstände stellt, automatisch auf dem Index. Das gilt auch für die Partei Die Linke, die sich noch immer nicht von ihren antikapitalistischen Kräften getrennt hat.

Ein Verfassungsschutz sollte Angriffe auf die Verfassung registrieren und abwehren helfen, die Täter benennen und anprangern. Stellen wir doch mal die Frage, von wem eigentlich die bedrohlichsten Angriffe auf die Demokratie ausgehen: Erst dieser Tage kam heraus, daß die sächsische Polizei anläßlich von Protesten gegen einen Neonaziaufmarsch mal eben eine Million Telekommunikationsdaten erfaßt hat. Eine Million! CDU/CSU und SPD wollen das mit der Vorratsdatenspeicherung zum Normalfall machen. Dutzende von sogenannten Antiterrorgesetzen beschneiden schon längst die Grundrechte. Die Bundeswehr verteidigt am Hindukusch nicht die Freiheit, sondern die strategischen Interessen des Kapitals, wie Expräsident Horst Köhler voriges Jahr aus Versehen zugab. Die sozialen Grundrechte von Millionen Hartz-IV-Beziehern kann man bestenfalls prekär nennen. Hier möchte man nach dem Schutz der Verfassung rufen. Der »normale« Extremismus der Mitte gilt als legitim, der Kampf gegen ihn als »extremistisch«. Dieses Schreckgespenst verliert indes an Wirkung: Zehntausende von Antifaschisten, von Kriegs-, Castor- und »S21«-Gegnern lassen sich trotz dieser Herrschaftslogik nicht von ihrem Protest abhalten.