Rede im Bundestag: Für eine Kehrtwende in der europäischen Flüchtlingspolitik

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zustände im griechischen Asylsystem sind schlicht und einfach verheerend. Wie schlimm es dort zugeht, konnte man übrigens vor wenigen Wochen in einem heimlich aufgenommenen Video in einem Fernsehbericht sehen. Es wurde gezeigt, wie in einer Flüchtlingsunterkunft auf der Insel Lesbos Hunderte von Menschen unter unbeschreiblichen hygienischen Bedingungen in einem Raum eingesperrt waren, schlimmer als in jedem Knast. Dies ist meiner Meinung nach Grund genug, hier zu fordern, dass die Bundesregierung sich endlich human verhält und aufhört, nach Griechenland rückzuschieben. Deshalb unterstützt die Linke jeden Antrag, der in diese Richtung geht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben schon gehört, dass das Bundesverfassungsgericht mehrfach Abschiebungen nach Griechenland verhindert hat. Die Bundesregierung sagt hier immer wieder, es handele sich um Einzelfälle, und besteht weiterhin auf einer Einzelfallprüfung. Wir haben von dem Kollegen Veit gehört, dass im vergangenen Jahr eine Delegation des Innenausschusses nach Griechenland gereist ist. Ich frage mich ehrlich, Herr Kollege Brandt, warum der Innenausschuss Reisen macht, wenn Sie nicht einmal bereit sind, die Erkenntnisse, die die Delegation mitbringt, entsprechend zu verarbeiten.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Helmut Brandt CDU/CSU: Das ist ja besser geworden seitdem!)

– Ich muss Ihnen wirklich sagen: Es gibt in ganz Athen eine einzige Ausländerbehörde. Dort stehen an jedem Freitag bis zu 3 000 Menschen, die einen Asylantrag stellen wollen. 300 können überhaupt in einer Woche bearbeitet werden. Dabei halte ich es schon für einen Skandal, dass dort Polizeioffiziere die Anhörung durchführen, die in der Flüchtlingsproblematik nicht ausgebildet wurden.
Die Linke lehnt die Dublin-II-Verordnung ab, weil die EU will, dass Flüchtlinge in dem Land einen Antrag stellen, das sie zuerst betreten haben.

Im vergangenen Jahr sind von Deutschland in der Tat nur 200 Rückschiebungen durchgeführt worden; von Italien sind es doppelt so viele gewesen. Von allen EU-Staaten insgesamt wurden 3 000 Flüchtlinge nach Griechenland rückgeschoben.
Dem Kollegen Brandt möchte ich hier noch einmal sehr deutlich sagen, dass die griechische Regierung, die Parlamentarier oder mit wem auch immer wir dort gesprochen haben, im wahrsten Sinne des Wortes „Hilfe“ gerufen haben, und zwar nicht nur, was das Asylsystem angeht, sondern vor allen Dingen, was die Rückschiebung angeht. Die Hilfe könnte darin bestehen, dass die Europäische Union überhaupt darüber diskutiert, wie eine gerechtere Umverteilung von Flüchtlingsströmen in den EU-Staaten stattfinden kann. Sie wissen genauso gut wie ich, dass in die EU-Randstaaten die meisten Flüchtlinge kommen, in den meisten Fällen übrigens über das Mittelmeer. Hier muss unbedingt eine Regelung her, die mit sich bringt, dass sich alle EU-Staaten solidarisch verhalten und das Problem nicht auf die Randländer abschieben.

Fakt ist jedenfalls, dass letztendlich die Flüchtlinge den Preis zu zahlen haben. Ihre Schutzrechte spielen dort überhaupt keine Rolle. Darüber kann Deutschland nicht einfach hinwegsehen.
Das Bundesverfassungsgericht weiß dies im Übrigen und entscheidet deswegen auch regelmäßig so. Deswegen sollte die Bundesregierung auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts genauer beachten. Ich hoffe jedenfalls, dass von diesem Gericht entschieden werden wird, dass diese Rückschiebungen nicht mehr stattfinden dürfen.

Wir unterstützen den Antrag der Grünen, sagen aber auch: Ein Stopp der Überstellungen nach Griechenland muss der erste Schritt zu grundsätzlichen Reformen der europäischen Asylpolitik sein, eine Reform hin zu einem Asylsystem, das den Geboten der Humanität und vor allen Dingen dem Flüchtlingsschutz gerecht wird. Dazu müssen auch die Bundesregierung und die Fraktionen dieses Hauses wissen: Wenn sie die Abkommen unterzeichnet haben, müssen sie nicht nur darauf hinwirken, dass die anderen Länder sie umzusetzen haben, sondern dürfen auch unmöglich in Länder abschieben, die das nicht mehr gewährleisten können.
Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)