Artikel: >Terroristen< vor Gericht

Vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht beginnt am heutigen Mittwoch ein auf zwei Jahre angesetzter Mammutprozeß gegen die sogenannte Sauerland-Gruppe. Angeklagt sind vier in Deutschland aufgewachsene junge Männer zwischen 23 und 30 Jahren. Ihnen wird vorgeworfen, schwere Anschläge auf US-Einrichtungen wie den Fliegerhorst Ramstein und von US-Soldaten besuchte Diskotheken in Deutschland geplant zu haben. So habe offenbar die Bundestagsentscheidung über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats im Herbst 2007 beeinflußt werden sollen. Die nötigen Kenntnisse sollen die Männer in einem Ausbildungslager in Pakistan erhalten haben.

Nach einem Tipp des US-Geheimdienstes CIA hatten rund 600 Ermittler die Gruppe ab Anfang 2007 monatelang rund um die Uhr observiert, ihre Gespräche abgehört und ihre E-Mails gelesen. Nachdem die Männer größere Mengen des zur Sprengstoffherstellung geeigneten Bleichmittels Wasserstoffperoxid beschafft hatten, tauschten die Polizisten heimlich die Substanz gegen eine ungefährliche Verdünnung aus, bevor sie die Verdächtigen am 4. September 2007 in einem Ferienhaus im sauerländischen Medebach-Oberschledorn festnahmen.

Fritz G., Daniel Sch., Attila S. und Adem Y. wird die Verabredung zum Mord und die Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens, die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a und zusätzlich in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch vorgeworfen. Die Verteidiger bezweifeln, daß die mit den Sondervollmachten des Paragraphen 129a StGB von den Ermittlern erhobenen Beweise verwertbar sind, da vor dem Großeinsatz im Sauerland die Voraussetzungen für die Charakterisierung der Gruppe als »terroristische Vereinigung« nicht gegeben waren. So hatte sich Attila S. bereits vorher wieder von der Gruppe getrennt, während Daniel Sch. erst kurz vor der Verhaftung dazugestoßen war.

Mit der ausländischen terroristischen Vereinigung ist die in Usbekistan aktive »Islamische Dschihad Union« (IJU) gemeint, die die Anschlagsvorbereitungen mitfinanziert haben soll. Die Verteidiger bezweifeln allerdings, daß diese angeblich dem Al-Qaida-Netzwerk nahestehende Organisation 2006 und 2007 überhaupt existiert hat. So nannte der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, die IJU gegenüber dem TV-Magazin »Monitor« 2007 eine Erfindung des usbekischen Präsidenten Islam Karimow, während ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg die Gruppe für eine Interneterfindung hält. Die Anklage stützt sich auf zwei Zeugen. Einer soll ein hoher Kader der Organisation sein. Er ist von deutschen Ermittlern in einem kasachischen Gefängnis besucht worden. Diese Zeugenaussagen wird die Verteidigung wohl wegen Folterverdachts zurückweisen.

Eine entscheidende Rolle bei der Anschlagsvorbereitung spielte laut einem dem Spiegel vorliegenden Dossier des Bundeskriminalamtes der in Ludwigshafen geborene und aufgewachsene türkische Islamist Mevlüt K. Er soll die 26 bei den Festnahmen im Sauerland sichergestellten Sprengzünder über ein von ihm gepflegtes Netzwerk aus der Türkei und dem Kosovo beschafft haben. Nach Angaben deutscher Sicherheitsbehörden handelt es sich bei Mevlüt K., gegen den die Bundesanwaltschaft inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, um einen V-Mann des türkischen Geheimdienstes und der CIA. Verteidiger Man­fred Gnjidic sieht in den Geheimdienstverbindungen von K. die »entscheidende Frage, die das Gericht dringend klären muß«.

Mit Ottmar Breidling, den das Magazin Focus zum »Richter Tacheles« ernannte, leitet ein ausgesprochener Hardliner den Prozeß. Er macht sich energisch für die Kronzeugenregelung und eine »handhabbare und schlagkräftige Wohnraumüberwachung« stark. Bereits in seinem Urteil gegen die »Kofferbomber« von Köln betonte Breidling, »wie groß in diesem Land die Gefahr terroristischer Anschläge durch aufgeheizte und verblendete Radikalislamisten ist«. Mit dem jetzt eröffneten Gerichtsverfahren soll offenbar diese Behauptung, mit der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble den fortschreitenden Abbau von Grundrechten rechtfertigt, erneut untermauert werden.