Rede im Bundestag: Gegen die Einführung neuer Gesinnungsparagrafen!

Rede von Ulla Jelpke (DIE LINKE.) zum TOP 5 der 202. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
> Drucksache 16/11735 < b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern (... StrÄndG) > Drucksache 16/7958 < Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, Die Bundesregierung will die Vorbereitung von Terroranschlägen und den Aufenthalt in sogenannten Terrorcamps unter Strafe stellen. Doch die geplante Regierung beschränkt sich nicht darauf, konkrete Handlungen zu bestrafen, auch nicht darauf, konkrete Vorbereitungshandlungen zu bestrafen, sondern sie will bereits Gesinnungen bestrafen. Zu diesem Zweck füllt die Bundesregierung die geplanten Gesetze mit unpräzisen Formulierungen, sie schafft Gummiparagraphen. Solche Gesetze sorgen nicht für Sicherheit, sondern für weiteren Raubbau an den Bürgerrechten. Die Grundidee des Strafrechts im Rechtsstaat ist es, den Täter für etwas zu sanktionieren, was er bereits getan hat. Das wissen auch Sie, Frau Justizministerin Zypries. Dennoch haben Sie bei der Vorstellung des Gesetzentwurfes wörtlich erklärt: „Nun aber wird jemand schon dafür bestraft, dass er Kontakt zu einer Terrorgruppe aufnimmt oder sich im Umgang mit bestimmten Waffen oder Stoffen schulen lässt. Wir bewegen uns damit sehr weit im Vorfeld einer Tat. Wir betreten mit dieser weiteren Vorverlagerung von Strafbarkeit juristisches Neuland.“ Ich muss Sie korrigieren, Frau Justizministerin: Sie betreten hier kein juristisches Neuland. Sie verlassen schlicht und einfach den Boden des Grundgesetzes und des Rechtsstaates - und dazu sagt die Fraktion DIE LINKE ganz klar Nein. Anrede, „Mit dem neuen Staatschutzrecht wird ein neues uferloses Antiterrorsystem aufgebaut“, warnt der bekannte Rechtsanwalt Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. Und Gössner weiter: „So plausibel eine Strafandrohung etwa im Fall einer Ausbildung in einem ausländischen `Terrorcamp´ auf den ersten Blick erscheinen mag, so problematisch ist sie bei genauerem Hinsehen. Wie will man beweisen, dass jemand in einem Trainingslager zum Terroristen umgeschult und tatsächlich ein solcher geworden ist? Dass er unmittelbar und konkret Gewalttaten plant, soll offenbar keine Voraussetzung sein - ein subjektiver Anschlagswille reicht; wie aber soll der bewiesen werden? Wir haben es also mit einem Gefährdungsdelikt ohne konkreten Tatbezug weit im Vorfeld des Verdachts zu tun - eine unverhältnismäßige und gefährliche Entgrenzung des herkömmlichen Tatstrafrechts. Und aufgrund welcher Erkenntnisse soll etwa die Art des Kontakts, des Camps und der Fortbildung beurteilt werden?“ Anrede, Ist Ihnen eigentlich klar, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes selbst eine Kaserne der Bundeswehr als Terrorcamp gelten könnte, wenn sich ein Soldat mit der Absicht in Sprengtechnik unterweisen lässt, dieses Wissen irgendwann einmal für einen Anschlag zu nutzen. Sind wir denn technisch schon so weit, dass Justiz und Polizei Gedanken lesen können? Oder wie soll denn sonst der Beweis dafür erbracht werden, dass jemand in einem Trainingscamp, durch den Erwerb eines Chemiebuches oder durch intensive Recherchen im Internet tatsächlich ein Terrorist werden will? So viele Möglichkeiten, um den Willen zum Anschlag nachzuweisen gibt es ja nicht. Wollen Sie sich auf die dubiosen Informationen von Geheimdiensten oder Erkenntnisse ausländischer Folterregimes wie Pakistan, die Türkei oder Syrien stützen? Das wäre absolut unvereinbar mit menschenrechtlichen Standards. Oder wollen Sie aufgrund einer vermuteten politischen oder religiösen Überzeugung kurzerhand auf den vermeintlichen Terrorwillen schließen? Das wäre ein Gesinnungsstrafrecht, das der Verfolgung politisch missliebiger Personen Tür und Tor öffnet, und auch das ist mit uns nicht zu machen Späh- und Lauschangriffe, geheime Onlinedurchsuchungen durch das BKA und Untersuchungshaft werden damit in noch weiterem Umfang ermöglicht, als das heute schon mit den Terrorparagrafen 129a und 129b der Fall ist. Mit ihrer Gesetzesvorlage bereitet die Bundesregierung einer Schnüffel- und Gesinnungsjustiz den Weg. Und sie tritt rechtsstaatliche Prinzipien sogar wissentlich mit Füssen – nichts anderes besagt das Eingeständnis der Bundesjustizministerin, das Gesetz sei „verfassungsrechtlich auf Kante genäht“. Frau Zypries, es ist nicht mit anzusehen, wie Sie sich immer wieder von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble über den Tisch ziehen und vorführen lassen. Die Bundesregierung wäre gut beraten, den Gesetzentwurf schleunigst wieder zurückzunehmen. Andernfalls riskiert sie, vom Bundesverfassungsgericht ebenso die Leviten gelesen zu bekommen, wie beim Großen Lauschangriff, der Rasterfahndung, der Vorratsdatenspeicherung usw. DIE LINKE bleibt dabei: Gewaltdelikte sind und bleiben verboten. Spezielle Terrorparagraphen nach dem Strickmuster dieser Regierung jedoch gefährden das Grundgesetz und den Rechtsstaat. (es gilt das gesprochene Wort)