Offener Brief: Folter an Kindern und Jugendlichen in der Türkei

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

wie ich erfahren habe, wurden in den letzten Wochen zahlreiche Menschen in der Türkei inhaftiert. Unter den Verhafteten sind auch mehrere Kinder und Jugendliche. Ich wende mich insbesondere aufgrund des Schicksals des 14-jährigen Cuneyit Ertus aus Yükksekova an Sie.

Wie Fernsehaufnahmen zeigten, wurde dem Jungen vom Polizeibeamten Turgay Sen der Arm gebrochen. Auf der Polizeiwache soll Cuneyit Ertus erneut gefoltert worden sein. Seit dem 23.März befindet sich der Junge in Haft, inzwischen im Gefängnis von Bitlis. Trotz seines gebrochenen Arms wird dem Jungen die notwendige medizinische Versorgung verweigert. Cuneyit Ertus leidet große Schmerzen und wird ohne Behandlung seinen Arm nie wieder benutzen können.

Der Polizist, der Cuneyits Arm brach, rief vor laufender Kamera: „Die Arme, die Steine schmeißen, brechen wir.“ Haben Sie, Herr Ministerpräsident, schon mal überlegt, wie verzweifelt ein 14-jähriger sein muss, damit er überhaupt Steine auf gepanzerte und schwer bewaffnete Polizisten wirft? Haben Sie schon einmal überlegt, welche Erfahrungen dieser Junge zuvor mit der Polizei gemacht haben muss? Mit Folter und Haft werden Sie die Probleme Ihres Landes nicht lösen können, sondern Sie tragen dazu bei, die Krise zu verschärfen.

Ich erinnere Sie an Ihr zu Beginn Ihrer Amtszeit gegebenes Versprechen, entschieden gegen Folter vorzugehen. Ich fordere Sie auf, sich für die unverzügliche Freilassung von Cuneyit Ertus aus der Haft und für die notwendige medizinische Versorgung einzusetzen. Auch die anderen inhaftierten Kinder und Jugendlichen müssen unverzüglich freikommen.

mit freundlichen Grüßen

Ulla Jelpke