Hetze hat Folgen

Immer mehr islamfeindliche Straftaten, hohe Dunkelziffer. Alltägliche Diskriminierung von Muslimen durch Polizei

von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 09.02.2021)

 

Morddrohungen gegen Imame, Brandanschläge oder Steinwürfe auf Moscheen, davor abgelegte Schweinsköpfe, Pöbeleien gegen Muslimas und heruntergerissene Kopftücher – antimuslimischer Rassismus äußert sich auf vielfältige Weise. 901 islamfeindliche Straftaten wurden laut Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der Linksfraktion im Bundestag im vergangenen Jahr registriert. Darin enthalten sind 50 Körperverletzungsdelikte, bei denen 48 Personen verletzt wurden. 77 Straftaten richteten sich gegen Moscheen. Obwohl erfahrungsgemäß noch Dutzende Nachmeldungen für das vergangene Jahr zu erwarten sind, liegt die Hasskriminalität gegen Muslime damit bereits jetzt auf einem höheren Niveau als in den beiden Jahren zuvor, als 884 beziehungsweise 824 Straftaten gemeldet wurden.

Und es handelt sich nur um die Spitze des Eisbergs. Denn zum einen wird ein islamfeindlicher Hintergrund einer Tat von den aufnehmenden Polizeibeamten mangels ausreichender Sensibilisierung für diese Problematik häufig nicht erkannt. Zum anderen wird der Großteil der alltäglichen Beleidigungen, Bedrohungen und selbst körperlichen Übergriffe gar nicht zur Anzeige gebracht. Die Betroffenen gingen oft nicht zur Polizei, weil sie sich schämten oder schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht hätten, erklärte die Vizevorsitzende des Münchner Muslimrates Sarelle McKensie bei der erstmaligen Vorstellung eines Reports über rassistische Angriffe und Diskriminierungen von Muslimen in der bayerischen Landeshauptstadt im vergangenen Monat. Nur jeder achte dem Muslimrat über ein anonymes Onlineformular gemeldete Vorfall sei zur Anzeige gebracht worden.

Antimuslimischer Rassismus findet sich zunehmend als Motiv in den Anschlagsplanungen rechter Terroristen. So erhob die Bundesanwaltschaft Ende Januar 2021 Anklage wegen Vorbereitung einer »schweren staatsgefährdenden Gewalttat« gegen die im Umfeld der neonazistischen Kaderpartei »III. Weg« in Bayern aktive Susanne G. Der Heilpraktikerin werden die Vorbereitung eines Brandanschlages auf Muslime und ein Drohbrief mit der Ankündigung von Tötungsdelikten gegen einen muslimischen Verein vorgeworfen. Bereits im November 2020 hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen zwölf mutmaßliche Mitglieder einer als »Gruppe S.« bezeichneten Nazigruppe erhoben, die laut Ermittlungsbehörden mit Anschlägen auf Moscheen »bürgerkriegsartige Zustände« auslösen wollten. Antimuslimischer Rassismus hatte auch für den Faschisten Tobias R., der am 19. Februar letzten Jahres neun Besucher und Mitarbeiter von zwei Shishabars in Hanau ermordete, bei der Wahl der Anschlagsorte eine zentrale Rolle gespielt. Doch zumindest im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung die Toten von Hanau noch nicht als Opfer einer islamfeindlichen Tat gewertet.

Mitte Januar 2021 hatte der Bundestag über die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Linksfraktion »Antimuslimischer Rassismus und Diskriminierung von Muslimen in Deutschland« beraten. Bisher ohne Folgen: Ein ins Parlament eingebrachter Entschließungsantrag der Linken, der auch die Diskriminierung durch staatliche Stellen wie die Polizei thematisierte und sich angesichts eines weiterhin bestehenden Generalverdachts gegen Muslime für ein wirksames Antidiskriminierungsrecht aussprach, fand keine Unterstützung der übrigen Fraktionen.