Unnötiger Speicherzwang

Fingerabdrücke im Personalausweis laut Bundesregierung für Fälschungssicherheit nicht erforderlich. Kritik an Verletzung des Datenschutzes

von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 15.09.2020)

 

Bis zu 370 Millionen EU-Bürger, darunter alle Deutschen, müssen ab kommendem Jahr ihre Fingerabdrücke in Personalausweisen speichern lassen. Dabei räumt die Bundesregierung in ihrer aktuellen Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion von Die Linke ein: Der Speicherzwang ist unnötig.

Während die Fingerabdrücke in Reisepässen schon seit 2007 gespeichert werden, ist dies bei Personalausweisen derzeit freiwillig; nur rund ein Drittel der Deutschen nutzt diese Möglichkeit. Die Zwangsspeicherung, die von Europaparlament und EU-Rat – mit Zustimmung der Bundesregierung – beschlossen wurde, tritt zum 2. August 2021 in Kraft. Am Donnerstag abend vergangener Woche wurde sie erstmals im Bundestag beraten.

Die Bundesregierung spricht in der Antwort auf die Linke-Anfrage von einem »Kompromiss«, weil die Abdrücke nicht auf zentralen Servern, sondern nur auf den Ausweisen selbst gespeichert würden. Dabei weist die oberste Datenschutzbehörde der Europäischen Union explizit auf die Gefahr hin, dass Kriminelle die Fingerabdrücke auslesen und für krumme Geschäfte nutzen könnten. Die Zwangsspeicherung sei »nicht ausreichend begründet«, das angestrebte Ziel der Fälschungssicherheit sei auch »mit einem weniger in die Privatsphäre eindringenden Vorgehen« erreichbar, bemängelte der inzwischen verstorbene EU-Datenschutzbeauftragte Giovanni Buttarelli bereits in einer 22seitigen Stellungnahme vom 10. August 2018. Die Bundesregierung entgegnete lapidar, der Speicherchip sei nur mit einem »hoheitlichen Berechtigungszertifikat« auslesbar – als ob solche Zertifikate nicht geknackt werden könnten.

Zur Begründung für den Speicherzwang heißt es in der EU-Verordnung, es gebe »inzwischen immer mehr gefälschte Personalausweise«. Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr rund 3.900 ge- und verfälschte Identitätskarten aus EU-Staaten allein an den deutschen Grenzen festgestellt, fast doppelt so viele wie im Jahr davor. Nur: Um dieses Phänomen zu bekämpfen, ist der Fingerabdruckzwang nutzlos, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage selbst einräumt: »Biometrische Identifikatoren werden zur Echtheitsüberprüfung der Dokumente nicht benötigt«.

Auf die Frage, wozu man denn überhaupt die Fingerabdrücke brauche, verweist die Bundesregierung auf Fälle, in denen Zweifel daran bestünden, dass die Personen, die einen – echten – Ausweis vorlegen, tatsächlich die Ausweisinhaber sind oder ihnen lediglich ähnlich sehen. Das wurde laut Bundesregierung im vergangenen Jahr rund 1.000 Mal festgestellt. Hier gilt allerdings ebenfalls: Um solche Fälle aufzudecken, ist ein Fingerabdruckabgleich zwar eine mögliche, aber keineswegs eine notwendige Option. Auch der EU-Hinweis auf notwendige Terrorbekämpfung erweist sich auf Nachfrage als gegenstandslos. Es seien keine Fälle bekannt, in denen fehlende Fingerabdrücke in Ausweisen die Aufklärung von Terroranschlägen verhindert hätten, so die Bundesregierung.

Die zwangsweise Speicherung der Fingerabdrücke von Hunderten Millionen EU-Bürgern erweist sich daher als grober Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Dieser Einschätzung schließt sich auch der Verein Digitalcourage an. Dessen Sprecher Friedemann Ebelt sagte am Donnerstag auf jW-Anfrage, das Gesetz »ignoriert gleich drei Dinge: Grundrechte, bessere Lösungen und Gefahren.« Aus seiner Sicht gehe es nicht um Sicherheit, sondern darum, »mit einer Brechstange den Zugang zu biometrischen Daten von Bürgerinnen und Bürgern zu erweitern. Wir warnen davor, dass zukünftig die Fingerabdrücke mit anderen Daten verknüpft werden, dass Datenbanken angelegt werden und dass die Daten in die falschen Hände gelangen.« Digitalcourage fordert, die EU-Verordnung nicht umzusetzen (siehe jW vom 18.8.) und empfiehlt den Bürgern, sich noch rechtzeitig vor August 2021 die alten Personalausweise ausstellen zu lassen. Die Linke-Fraktion hatte sich in der Anfrage übrigens danach erkundigt, ob der Ausweis auch gültig sei, wenn der Chip »versehentlich« zerstört werde: Das treffe zu, so die Bundesregierung. Eine »gezielte Zerstörung« sei allerdings strafbar.