Hotspots überall?

EU-Asylbehörde legt Zahlen vor

Kommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 26.06.2020)

 

Im vorigen Jahr hat es erstmals seit 2015 wieder einen Anstieg der Zahl von Asylsuchenden in Europa gegeben. Die EU-Behörde EASO vermeldete am Donnerstag elf Prozent mehr Schutzsuchende als im Jahr 2018. Infolge der wirtschaftlichen Schäden durch die Coronakrise sei mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Die Statistik widerlegt unter anderem die hierzulande gern gepflegte Legende, Deutschland habe in Europa eine weit überdurchschnittliche »Last« an Flüchtlingen zu tragen: Ganze 22 Prozent der Anträge gingen in Deutschland ein. Die absolute Zahl der Anträge war in Frankreich und Spanien sogar höher als hier. Sachlich betrachtet sind solche Daten kein Aufreger, aber um Sachlichkeit geht es in der Flüchtlingspolitik der EU nur noch selten.

Vor wenigen Tagen erst mahnte die EU-Kommission die Mitgliedstaaten, auch während der Coronakrise den Zugang zu Asylverfahren zu gewähren. Das ist einerseits berechtigt. Die Bundesregierung zum Beispiel pfiff auf den verfassungsmäßigen Anspruch auf den Schutz der Familie – indem sie selbst solchen Flüchtlingen, die schon ein Visum zum Familiennachzug hatten, keine Einreise mehr gewährte. Und anstatt wenigstens ein paar hundert Flüchtlingskinder aus den elenden griechischen »Hotspots« herauszuholen, verschleppte sie diese dringende Hilfe durch endlose Debatten.

Andererseits ist die Mahnung der Kommission insofern merkwürdig, als zu diesem Zeitpunkt die meisten Reisebeschränkungen schon wieder aufgehoben waren. Und sie ist vor allem geheuchelt, weil die EU-Flüchtlingspolitik sich seit Jahren damit beschäftigt, wie man Asylsuchende möglichst von Europa fernhalten kann.

Ab kommender Woche übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft, und noch mehr als bisher wird Berlin dann den Ton innerhalb des Staatenbündnisses angeben. Ganz oben auf der Agenda steht die »Neuausrichtung« der Asylpolitik. Da werden bereits Pflöcke eingeschlagen: Frankreich, Spanien und Italien – also diejenigen Länder, in denen die meisten Flüchtlinge anlanden – sowie Deutschland fordern in einem gemeinsamen Papier erhebliche Restriktionen für Asylsuchende. So soll es Vorprüfungen an den EU-Außengrenzen geben, um »offensichtlich nicht« schutzbedürftige Personen zurückzuweisen. Nun kamen letztes Jahr weit über eine halbe Million Flüchtlinge in die EU – die müssten dann alle in Lager gebracht werden, um sie provisorisch durchzuchecken. Dabei ist Griechenland auf sich gestellt und bereits mit der Unterbringung einiger zehntausend Flüchtlinge in den derzeitigen Hotspots überfordert. Die Menschen müssen dort vor sich hin vegetieren.

Es ist absehbar, dass die Coronakrise weltweit noch mehr Menschen in Not stürzt. Darauf müsste man schnell reagieren. Doch die EU entscheidet sich lieber dafür, den betroffenen Menschen den Fluchtweg zu versperren.