»AKK«: Debatte »jetzt« unerwünscht

Inlandseinsätze wegen Corona wären rechtswidrig, aber möglich. Es fehlt eine Kontrollinstanz

von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 06.04.2020)

CDU und CSU fordern schon seit den 1990er Jahren, die Kompetenzen der Bundeswehr für Inlandseinsätze auszuweiten, was sie meist mit dem Stichwort »Terrorbekämpfung« begründen. Derzeit gibt sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zurückhaltend: Eine solche Debatte sei »jetzt« nicht nötig, man möge sie nach der Coronapandemie führen. Das Grundgesetz ermögliche der Bundeswehr bereits heute, »sehr, sehr viel« auch im Inland zu tun, erklärte sie vergangene Woche im ZDF-»Morgenmagazin«. Da hat sie recht.

Vergleichsweise unproblematisch erscheint die sogenannte einfache Amtshilfe, die jede Behörde von Bund, Ländern und Kommunen auf Ersuchen einer anderen leistet, um dieser die Erfüllung ihrer Aufgaben zu ermöglichen. Der Einsatz militärischer Mittel ist hier ausgeschlossen – eigentlich. Beim G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm war dennoch in großem Umfang Militärgerät im Einsatz: Sechs Spähpanzer »sicherten« damals die Umgebung des Gipfeltreffens, unter anderem auch die Autobahn, und teilten ihre »Beobachtungen« der Polizei mit. Aufklärungsflugzeuge des Typs »Tornado« flogen mehrfach über die Camps der Gipfelgegner. Die 101 Fotos, die dabei gemacht wurden, zeigen Personengruppen und Fahrzeugtypen. In mindestens einem Fall donnerte ein Flugzeug in so geringer Höhe über ein Camp hinweg, dass selbst das Bundesverwaltungsgericht später eine Verletzung der Versammlungsfreiheit monierte. Offiziell war die Bundeswehr hier per Amtshilfe unterwegs, auf Bitte des Innenministeriums von Mecklenburg-Vorpommern. Es liegt aber auf der Hand, dass die Beobachtung von Demonstranten und das Aufspüren »verdächtiger« Vorgänge eine klassische Polizeiaufgabe ist. Zudem sind Spähpanzer und Kampfjets eindeutig Kriegsgerät, dessen Verwendung im Rahmen der Amtshilfe unzulässig ist. Der Versuch der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, diesen Verfassungsbruch vom Bundesverfassungsgericht sanktionieren zu lassen, scheiterte allerdings aus formalen Gründen. Die Karlsruher Richter hielten fest, die Rechtslage sehe eine Zustimmungspflicht des Bundestages bei Inlandseinsätzen – anders als bei Auslandseinsätzen – gar nicht vor, deswegen könne eine Bundestagsfraktion auch keine Klage erheben. Anders gesagt: Die Bundeswehr mag in Heiligendamm verfassungswidrig gehandelt haben, es gibt aber keine Möglichkeit, dies auch höchstrichterlich feststellen zu lassen.

Bislang haben sich solche Einsätze nicht wiederholt, was nahelegt, dass damals ein Testballon gestartet werden sollte. Einige Politiker scheinen es nun darauf anzulegen, dies in verschärfter Form zu wiederholen und explizit nach Unterstützung durch die Streitkräfte zu fragen. Ihre Chancen dafür sind gut: Zwar erlaubt das Grundgesetz in Artikel 35, Absatz 2 einen militärischen Einsatz nur zur Hilfe bei einer Naturkatas­trophe oder einem Unglücksfall, und nicht zur Bewältigung einer Pandemie (deswegen die Rufe nach einer »Anpassung« der Verfassung). Wenn etwa das baden-württembergische Innenministerium trotzdem bewaffnete Soldaten vor Polizeigebäuden aufstellen will, ist das verfassungswidrig. Nur: Wer will etwas dagegen tun, wenn es weder eine effektive Klagemöglichkeit noch eine parlamentarische Interventionsmöglichkeit gibt? Sich darauf zu verlassen, dass das Verteidigungsministerium solche rechtswidrigen Amtshilfeanträge ablehnt, kann kaum ein zufriedenstellender Zustand sein.