Sittentest für Muslime

Vor der Konferenz der Unions-Innenminister streiten CDU und CSU über Burkas. Ein Teilverbot ist wahrscheinlich

 

Eigentlich sollte das Treffen der Unions-Innenminister, das gestern abend in Berlin begann, der Sicherheitspolitik gewidmet sein. Tatsächlich spitzte sich die unionsinterne Debatte unmittelbar vor Beginn der Zusammenkunft auf reine Symbolpolitik zu: Befürworter und Gegner eines Burka-Verbots meldeten sich nahezu stündlich in den Nachrichtenagenturen zu Wort. Dabei behauptet zwar keiner ernsthaft, dass die Frage, ob eine muslimische Frau voll-, halb- oder gar nicht verschleiert ist, irgend etwas mit Sicherheit zu tun hat. Es genügt den meisten Konservativen, dass ihnen die Burka einfach nicht gefällt: Sie sei »ein Fremdkörper in unserem Land«, polterte etwa Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Wichtigster Gegner eines Totalverbots ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der befürchtet, dass eine solche Maßnahme vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden könnte. Zu Recht – die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages haben schon vor sechs Jahren darauf hingewiesen, ein Verbot der Vollverschleierung sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Vom Verweis auf die Verfassung lassen sich die Scharfmacher unter de Mazières Kollegen aber nicht beeindrucken. Dazu gehören insbesondere jene Innenminister, die in aktuellen Wahlkämpfen stehen, etwa Frank Henkel (Berlin) und Lorenz Caffier (Mecklenburg-Vorpommern). Beide fordern auch die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Henkel forderte im ARD-»Morgenmagazin« unter Verweis auf die jüngsten Anschläge in Süddeutschland, Menschen mit zwei Pässen müssten sich klar bekennen. »Es kann keine doppelten Loyalitäten geben«, so Henkel, der damit die Frage der Staatsbürgerschaft zum Bekenntnis für oder wider terroristische Gewalt erhob.

Politiker der SPD lehnten diese Pläne ab: »Der Doppelpass bleibt«, erklärte etwa Justizminister Heiko Maas. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller bezeichnete die Forderungen seines CDU-Innensenators als »wilden Aktionismus«. Den wahrscheinlich intelligentesten Beitrag zur Debatte lieferte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (ebenfalls SPD), der erklärte, wer Burkas verbiete, der müsse auch verbieten, »dass sich Menschen als Nikolaus verkleiden«. Die Burka sei zwar ein Zeichen mangelnder Integration, aber nicht mangelnder Sicherheit.

Hinter den Kulissen bereiten Union und SPD allerdings einen Kompromiss vor, der Teilverbote der Burka in bestimmten Bereichen vorsieht. De Maizière nannte etwa Meldeämter, Standesämter und Demonstrationen, SPD-Vize Ralf Stegner kam dem per Twitter entgegen: Ein Verbot sei »in Sicherheitsbereichen und einzelnen Institutionen« grundgesetzkonform. Verlässliche Zahlen, wie viele Frauen in Deutschland eine Vollverschleierung tragen, gibt es übrigens nicht.

Die anderen Punkte des Forderungskatalogs der Union wurden gestern allenfalls am Rande angesprochen. Der bayerische Innenminister Herrmann machte sich für eine »Fußfessel für islamistische Gefährder« stark und forderte ähnlich wie auch schon de Maizière die Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht. Auf dem »Berliner Erklärung« betitelten Wunschzettel der Unions-Innenminister werden darüber hinaus »mehr Personal und mehr Befugnisse für unsere Nachrichtendienste« gefordert, die künftig auch Minderjährige bespitzeln und die Vorratsdatenspeicherung nutzen sollten. Datenschutz solle es nur »mit Augenmaß« geben, heißt es in dem Papier.

Kommentar (ebenfalls jW, 19. 8. 2016):

Union hilft AfD

Debatte um »innere Sicherheit«

Ulla Jelpke

Die Union legt sich fest: In den bevorstehenden Wahlkämpfen setzt sie auf das Thema »innere Sicherheit«. Damit einher geht nicht nur die Forderung nach weiteren Grundrechtseinschränkungen. Vielmehr überbieten sich die Unions-Innenminister derzeit im Aufstellen wilder Drohszenarien. Man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass sie nicht alle an einem Strang ziehen und sich der eine in bestimmten Punkten moderater gibt als der andere. Die chaotisch anmutende Vielstimmigkeit hat einen gemeinsamen Nenner in der Beschreibung des Feindbildes: Das ist der »islamistische Gefährder«, der als Flüchtling unerkannt ins Land schleicht, einen doppelten Pass hat und sein wahres Gesicht unter der Burka verbirgt. Dabei werden nicht nur Sicherheitsgefährdungen weit über ihren realen Kern hinaus aufgebauscht, sondern es wird auch eine gefährliche Verknüpfung von Sicherheits-, Flüchtlings- und Integrationsdebatte betrieben.

Wahrscheinlich werden nur die wenigsten Forderungen rund um Burka-Verbot, Abschaffung des Doppelpasses, Fußfesseln für »Gefährder« und Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht am Ende wirklich umgesetzt. Ein Ergebnis allerdings kann man schon jetzt als sicher betrachten: Das ganze Getöse nützt am meisten der AfD. Denn die hat bekanntlich schon früh damit angefangen, sich klar gegen »den Islam« zu stellen und Muslime als Sündenböcke für alle möglichen tatsächlichen oder eingebildeten Probleme in Deutschland darzustellen. Und genau dieser Ansatz wird jetzt von der Union salon- bzw. politikfähig gemacht.

Hardliner der Union werfen ein Stichwort in die Arena, das vom Burka-Verbot zum Beispiel, ernten damit Widerspruch von anderen Unions-Politikern, die den Vorstoß aber nicht etwa auf den politischen Sondermüll tun, wo er hingehört, sondern ihn nur etwas abgemildert übernehmen möchten, etwa in Behörden oder Schulen.

In der Öffentlichkeit wirkt dieses Durcheinander zum einen als Bestätigung, wenn nicht Mobilisierung von Vorbehalten gegen alles »Fremde«, zum anderen als Signal: Die Union ist nicht hart genug, im Gegensatz zur AfD, die sich in ihrem Feldzug zur vermeintlichen Rettung des Abendlandes noch weniger von irgendwelchen Grund- oder Menschenrechten beirren lässt. Im Klartext lautet die Botschaft, die die Union vermittelt: Der Islam ist ein »Fremdkörper« in unserem Volk (so wird heute wieder gesprochen!), und wer ihn radikal ausmerzen will, muss AfD wählen.

Der Bundesinnenminister erscheint gegenüber seinen Kollegen aus Berlin oder Bayern als regelrecht gemäßigt. Tatsächlich segelt er in ihrem Windschatten. Vorige Woche hat er seinen eigenen Forderungskatalog aufgestellt, der im Ton moderat, in der Sache extrem den Ausbau polizeilicher und geheimdienstlicher Überwachungsbefugnisse vorsieht. Damit geht es im kommenden Wahlkampf gleich mehrfach um Kernbestandteile der bürgerlichen Demokratie.