Artikel: Rigas schwarze Liste

Lettische Regierung sieht in Antifaschisten aus Deutschland Gefahr für öffentliche Ordnung. Einreisesperren gegen 25 deutsche Staatsangehörige

Von Ulla Jelpke
 
Mindestens sechs deutsche Staatsbürger waren am 15. März an der Einreise nach Lettland gehindert worden. Dort wollten sie auf Einladung lettischer Antifaschisten der Organisation »Lettland ohne Nazismus« an Protesten gegen einen Gedenkmarsch zu Ehren der Waffen-SS teilnehmen. Der von der Veteranenvereinigung ehemaliger SS-Legionäre »Daugavas Vanagi« organisierte Marsch durch die Innenstadt von Riga zu Ehren der faschistischen Kriegsverbrechertruppe findet alljährlich am 16. März statt.Der Bundesvorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), Cornelia Kerth, wurde bereits auf dem Hamburger Flughafen der Einstieg in die Maschine von Air Baltic mit der Begründung verweigert, sie stände auf einer »schwarzen Liste« der lettischen Einwanderungsbehörde. Fünf VVN-Mitglieder aus Berlin, darunter Bundesgeschäftsführer Thomas Willms, wurden nach ihrer Landung in Riga stundenlang in einem Verhörraum festgehalten, bevor sie von der Polizei an die lettisch-litauische Grenze gefahren und mit der Drohung lebenslangen Einreiseverbots abgeschoben wurden.

Die Bundesregierung habe im voraus keine Informationen über die Einreisesperren von seiten der lettischen Behörden erhalten und erst durch einen Anruf der Betroffenen davon erfahren, heißt es in der erst jetzt vorliegenden Antwort auf eine bereits vor einem Monat gestellte kleine Anfrage der Linksfraktion. Gegenüber der Bundesregierung habe das lettische Innenministerium das am 16. März gegen insgesamt 25 deutsche Staatsangehörige verfügte Einreiseverbot mit einer »Gefahr für die öffentliche Ordnung der Republik Lettland« begründet. Dabei habe ein vorangegangener Aufenthalt von VVN-Mitgliedern im Jahr 2014 eine Rolle gespielt, gab das lettische Innenministerium gegenüber der Bundesregierung an. Damals hatten sich rund 20 deutsche Antifaschisten an einer friedlichen Protestkundgebung gegen den SS-Marsch in Riga beteiligt. Offenbar dienten ihre damals bei der Einreise registrierten Namen nun zum Erstellen dieser schwarzen Liste. Die lettischen Sicherheitsbehörden scheinen zudem noch weitere Quellen benutzt zu haben, da die Einreiseverbote in diesem Jahr nicht nur die vor zwei Jahren mit einem Bus angereisten Antifaschisten betrafen.

Die Bundesregierung bestätigte hierzu, dass die lettische Sicherheitspolizei im Vorfeld des SS-Gedenkmarsches zweimal beim Bundeskriminalamt (BKA) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen zu Anreiseabsichten »von gewaltbereiten deutschen Linksextremisten« zu den Gegenprotesten angefragt habe. Dabei habe die Sicherheitspolizei explizit auf die mögliche Anreise von VVN-Mitgliedern verwiesen. Das BKA habe erklärt, dass ihm bezüglich einer angefragten deutschen Staatsangehörigkeit »keine Erkenntnisse vorlägen und die VVN bislang ausschließlich gewaltfrei in Erscheinung getreten sei«. Offen bleibt bei dieser Antwort, ob der ebenfalls von Riga angefragte Verfassungsschutz weitere Informationen geliefert hat.

Die Bundesregierung bekräftigte, Freizügigkeit als einen Grundpfeiler der europäischen Integration zu betrachten. Doch dass die lettischen Behörden »grob ermessensfehlerhaft oder willkürlich entschieden hätten«, will die Bundesregierung nicht erkennen. Die Betroffenen könnten ja eine entsprechende Beschwerde an die EU-Kommission richten oder in Lettland gerichtlich gegen das Einreiseverbot vorgehen, lässt die Bundesregierung die deutschen Antifaschisten im Regen stehen. Weiterhin setzt Riga alles daran, das fortan von Veteranenverbänden und Neofaschisten organisierte Gedenken an die lettischen SS-Soldaten vor störenden Protesten in Schutz zu nehmen.

So berichtete Josef Koren von »Lettland ohne Nazismus«, dass bereits einige Wochen vor dem 16. März die Telefone von bekannten Antifaschisten abgehört wurden. Eine von Koren geplante internationale Konferenz wurde vor zwei Jahren sabotiert, indem der Verleiher einen Tag vor der Veranstaltung die Simultandolmetscheranlage zurückzog, im ganzen Land war plötzlich keine solche Technik mehr aufzutreiben. Die Sicherheitspolizei habe Hotelbesitzer angerufen und vor schlimmen Russenfreunden gewarnt. Die Antifaschisten setzen angesichts der staatlichen Repression auf eine Internationalisierung des Protestes. Ebendies hofft die lettische Regierung mit Einreiseverboten, die in der Vergangenheit meist russische Staatsbürger, doch in diesem Jahr erstmals eine vergleichsweise bunte Truppe wie die VVN betrafen, zu verhindern.

Die Kleine Anfrage und die Antwort sind hier einzusehen

KA-Nr. 18-8178 Einreisesperre Lettland

 

Hintergrund: Lob der Waffen-SS

Rund 160.000 Letten kämpften im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite, mehrheitlich in der Waffen-SS. In die 1943 aufgestellte »Lettische Legion« der Waffen-SS, die Hitler die Treue schwören musste, wurden auch lettische Strafkommandos der Sicherheitspolizei eingegliedert. Diese waren bereits seit 1941 für Massaker an Zehntausenden Zivilisten und das Niederbrennen von Dörfern in Lettland, Russland und Belarus verantwortlich. Die lettischen SS-Männer wurden auch zu Massenerschießungen von Kriegsgefangenen im Wald von Bikernieki sowie zur Bewachung von Todeslagern und KZ in Salaspils eingesetzt.

Seit der Unabhängigkeit Lettlands von der Sowjetunion 1990 werden die »Legionäre« jährlich am 16. März mit einem Gottesdienst, einem Umzug und einer fahnengeschmückten Kundgebung am Freiheitsdenkmal in Riga geehrt. Diese Veranstaltung ist der Höhepunkt verschiedener derartiger Kundgebungen in den drei baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen, mit denen faschistischer, antisemitischer und antikommunistischer Nazikollaborateure zur nationalen Legitimation als vermeintliche »Freiheitskämpfer« gedacht wird.

Auf internationalen Druck hin wurde der »Gedenktag der Legionäre« als staatlicher Feiertag im Jahr 2000 wieder abgeschafft. Die lettische Regierung verpflichtete zudem ihre Mitglieder, nicht mehr an den Gedenkveranstaltungen teilzunehmen. Die an der derzeitigen lettischen Regierung als kleinerer Koalitionspartner beteiligte »Nationale Allianz« war 2014 allerdings bereit, einen Minister zu opfern, der trotz dieses Beschlusses an dem Aufmarsch teilgenommen hatte. In diesem Jahr marschierten erneut etwa 1.000 SS-Veteranen, ihre Nachkommen, sowie Neofaschisten und Abgeordnete der Nationalen Allianz durch Riga. (uj)

Erschien  zuerst in junge Welt vom 21.Mai 2016