Solidarität mit den Opfern der ukrainischen Faschisten

Ein brauner Mob zieht unter den Fahnen der Waffen-SS durch die Städte und jagt Linke und Antifaschisten. Regierungsgegner wiederum besetzen dort, wo es ihre Stärke zulässt, Verwaltungsgebäude, um sie dem Zugriff der bürgerlich-faschistischen Machthaber zu entziehen. Daraufhin werden rechtsextreme Kameradschaften in Bundespolizei, Bundeswehr und eine neugegründete »Nationalgarde« übernommen und mit Schusswaffen ausgestattet, um ihre Gegner niederzuschießen.

Wo stünde da Die Linke?

Wem dieses Szenario, angewandt auf die Ukraine von heute, zu katastrophisch erscheint, der sei an den Massenmord von Odessa am 2. Mai erinnert: Mindestens 46 Menschen starben, als ein faschistischer Mob seine Gegner in das Gewerkschaftshaus trieb, Brandsätze hineinschleuderte und die verzweifelten Menschen daran hinderte, das brennende Haus zu verlassen. Es war der bei weitem verheerendste rechtsextreme Terrorakt seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991. Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko, vom Westen jahrelang als verfolgte Unschuld und Repräsentantin einer Demokratiebewegung gefeiert, begrüßt den Massenmord als »Verteidigung« der Staatsgewalt, die »Übergangsregierung« schwadroniert von einer »russischen Provokation« und setzt weitere Panzer in Marsch, um die widerspenstigen Regionen im Osten des Landes wieder unter ihre Kontrolle zu zwingen.

Wo steht da Die Linke?

In einer Pressemitteilung vom 6. Mai wendet sich der Parteivorstand »mit einem Waffenstillstandsappell an die Öffentlichkeit« und fordert »Stoppt die Gewalt«. Ein Adressat für diese Forderung wird aber nicht genannt, so dass sie nur als Ausdruck einer unentschiedenen Äquidistanz gelesen werden kann. Als Appell an beide Seiten, die Eskalation einzustellen und miteinander zu verhandeln. Das liest sich, vier Tage nach dem Massaker von Odessa (das mit keinem Wort erwähnt wird) wie eine Verhöhnung der Opfer, ja der Umkehrung von Opfern und Tätern.

Der Parteitag der Linken hat danach eine Resolution eingebracht, die etwas klarere Töne beinhaltet, aber dem Ernst der Lage werden die Einschätzungen, und mehr noch die Praxis der Partei, nicht gerecht.

In der Ukraine grassiert nicht nur die rechtsextreme Gewalt in einem bislang nicht gekannten Ausmaß. Dieser Ausbruch vollzieht sich zudem in einem gesellschaftlichen Klima, in dem Faschisten ausdrücklich salonfähig sind. Sie gehören der Regierung an, und sie gelten bei allen, die der angeblichen »Revolution« des Maidan positiv gegenüberstehen, als dessen heroischste Kämpfer. Sie werden nicht als das wahrgenommen, was sie sind – nämlich Verbrecher – sondern als nationale Helden. Parteien wie Timoschenkos »Vaterland«-Bündnis« oder Klitschkos von der Konrad-Adenauer-Stiftung gesponserte UDAR hatten schon im Wahlkampf 2012 keine Hemmungen, mit der faschistischen Swoboda-Partei Bündnisse zu schmieden.

Daß westliche Politiker durch ihre distanzlose Anfeuerung der Maidan-Proteste ihren Anteil an der Etablierung von Swoboda und Rechtem Sektor haben, wurde von kritischen Beobachtern schon mehrfach festgehalten. Aber auch heute noch, wo das Regime in Kiew einen Krieg gegen ihre Gegner anzettelt, rückt die Bundesregierung nicht von ihren Partnern ab. Sie agiert so, als sei es völlig normal, mit einer Regierung zu kooperieren, der Faschisten angehören.

Der deutsche Außenminister geht mit seiner Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten dieser Machthaber sogar so weit, dass er sich bei einem Besuch in Odessa Mitte Mai verbieten ließ, einen Kranz für die Toten im Gewerkschaftshaus abzulegen. Begründet wurde die Absage damit, ein Gedenken an die Opfer der Faschisten könnte die Regierung bzw. ihre Unterstützer erzürnen – das ist verräterisch. Sich einem solchen Druck zu beugen, bedeutet, letztlich die faschistische Gewalt zu legitimieren. Noch übertroffen wird Steinmeier von den Grünen, die gegen Putin geifern und sämtliche Hinweise auf ukrainische Faschisten als »Kreml-Propaganda« abtun.

Die vom Westen protegierte und von seinen Freunden in Kiew ausgeführte Militarisierung des Konflikts bleibt im Osten des Landes nicht ohne Antwort. Diese Antwort ist heterogen. Es gibt progressive klassenkämpferische Ansätze wie bei einem Streik in einem Bergwerke des ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetows in der Region Lugansk, wo im April zweitausend Bergarbeiter die Büros des Managements belagerten und Lohnerhöhungen forderten oder in der Ankündigung in den »Volksrepubliken« die Industrie zu verstaatlichen. An diesen Auseinandersetzungen wirkt auch die linke Organisation »Borotba« mit.

Aber es kann, angesichts des Fehlens einer starken Linken mit klarer Orientierung, nicht verwundern, dass in den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk jetzt auch Kräfte nach oben gespült werden, mit denen Linke sich ebenfalls nicht anfreunden können. Der aggressive (west-)ukrainische Nationalismus provoziert nun einen (ost-)ukrainischen und bisweilen auch russischen Nationalismus. Sie verstehen es, einen großen Teil der Bevölkerung zu mobilisieren, die nicht nur die Faschisten abwehren, sondern auch ihre Arbeitsplätze vor der Vernichtung durch IWF und Weltbank verteidigen will. Der Zerfall staatlicher Strukturen sorgt mittlerweile für erste Anzeichen einer humanitären Krise sowie für ein rapides Anwachsen der Kriminalität.

Aber: Die Ereignisse im Osten sind eine Reaktion auf die von Kiew ausgehenden Provokationen.

Ginge es nach Kiew, gäbe es im Osten der Ukraine ein gigantisches Blutbad. Daß es bislang ausblieb, ist im Wesentlichen der hohen Desertionsrate und Verweigerungshaltung der »regulären« Einheiten geschuldet, und auch die Anführer der »Volksrepubliken« Donezk und Lugansk klagen über mangelnde Kriegslust ihrer Einwohner. Offenkundig will die Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer keinen Bürgerkrieg. Dennoch dreht die Übergangsregierung weiterhin an der Eskalationsspirale. Sie lehnt nicht nur Verhandlungen mit den »Separatisten« kategorisch ab. »Übergangspräsident« Turtschinow hat vor wenigen Tagen, anstatt wenigstens die ohnehin extrem fragwürdigen Wahlen abzuwarten, das Justizministerium aufgefordert, »Belastungsmaterial« zum Verbot der Kommunistischen Partei der Ukraine zu sammeln. VertreterInnen der KPU und linker Organisationen wie Borotba können sich schon jetzt im Westen und Zentrum des Landes kaum ohne Lebensgefahr bewegen, ein Verbot würde die Pogromstimmung gegen ihre Anhänger – und alle, die dafür gehalten werden – weiter anfachen.

Bei alle dem ist nur eines sicher: Die Oligarchen behalten das Oberkommando im Land. Der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat Petro Poroschenko ist ein Oligarch, und der im Donbass herrschende Rinat Achmetow ebenfalls. In sozialer Hinsicht wird sich für die Mehrheit der Bevölkerung nichts verbessern – ihnen droht vielmehr, neben der weiteren Ausbeutung durch Oligarchen, eine ergänzende »Deregulierung« durch EU, IWF und Weltbank.

Die wichtigste Anforderung an linke Politik ist in einer solchen Situation Solidarität mit allen, die in der Ukraine von der bürgerlich-faschistischen Koalition oder deren Anhängern verfolgt werden. Ich sage ausdrücklich: Alle. Das gilt für jene, die aus Naivität und berechtigter Wut über die Korruption und unverschämte Bereicherung der alten Regierung anfangs die Maidan-Proteste unterstützt haben und jetzt Opfer jener Geister werden, die sie aus der Flasche ließen, und es gilt auch für die KPU, auch wenn diese bis zuletzt am (ehemaligen) Oligarchenvertreter Janukowitsch festgehalten hat. Faschisten sind unser Hauptgegner, sie haben die Eskalation in Gang gesetzt und vorangetrieben.

Die Verbrecher müssen beim Namen genannt werden. Es geht nicht an, sich mit nur scheinbar neutralen Worten von Faschisten und (vermeintlichen wie tatsächlichen) Separatisten gleichermaßen zu distanzieren. Die Toten von Odessa sind nicht Opfer von »Auseinandersetzungen«.

Es ist alles zu unterlassen, was die Regierung in Kiew aufwertet oder legitimiert. Die Linke muß auch von der Bundesregierung stets einfordern, daß faschistische Politiker keine »normalen« Verhandlungspartner sind. Die Regierung in Kiew ist als Hauptverantwortliche für den sich anbahnenden Bürgerkrieg zu kritisieren und aufzufordern, die Anhänger faschistischer Parteien auszuschließen.

Keine Äquidistanz darf es auch bei der Bewertung der Rolle von Rußland und EU/NATO geben. Das russische Vorgehen muss einem nicht gefallen – aber es ist eine Reaktion auf die Aggressivität, mit der sich die NATO schrittweise – und entgegen ursprünglicher Versicherungen – seit 1990 nach Osten ausdehnt und die EU ihre Wirtschaftsmacht in Europa ausbauen will. Russland wurde solange provoziert, bis es schließlich reagierte, um seine Mindestinteressen zu sichern: Einen »Cordon sanitaire« zwischen sich und der NATO und die Verteidigung der Schwarzmeerflotte mit ihrem Stützpunkt auf der Krim.

Die Linke darf es nicht bei bloßen papiernen Erklärungen belassen. Es gilt praktische Solidarität mit ukrainischen AntifaschistInnen zu üben. Es gilt, solidarisch zu sein mit allen, die sich einer weiteren, auf beiden Seiten nationalistischen Aufladung des Konflikts widersetzen und progressive, klassenkämpferische, antifaschistische und antikapitalistische Antworten suchen: Durch Einladungen nach Deutschland und Gegenbesuche in der Ukraine, durch Demonstrationen und Kundgebungen in Deutschland, durch Gegenöffentlichkeit gegen das herrschende Medienkartell, das immer noch die Verharmlosung der faschistischen Gewalt betreibt.