Artikel: Verschiebebahnhof bleibt

Wenn »systemische Mängel« im Asylsystem eines anderen EU-Staates befürchten lassen, daß Asylbewerber dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren, dürfen sie nicht dorthin zurückgeschoben werden. Das hat der Europäische Gerichtshof diese Woche im Fall eines iranischen Flüchtlings bestätigt, der gegen seine Abschiebung aus Deutschland nach Griechenland geklagt hatte.

Kaveh Puid hatte 2007 in Deutschland Asyl beantragt. Weil er aber über Griechenland eingereist war, ließ ihn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge inhaftieren und ordnete seine Abschiebung nach Griechenland an. Denn nach der Dublin-Verordnung ist immer der EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig, in den ein Asylsuchender zuerst eingereist ist.

Einen effektiven Rechtsschutz dagegen gibt es nicht. Puids Klage wurde daher erst nach seiner 2008 erfolgten Abschiebung vor einem hessischen Verwaltungsgericht verhandelt. Das Gericht schenkte seiner Darstellung Glauben, daß er in Griechenland zunächst eingesperrt wurde und anschließend obdachlos war, mithin keinen Zugang zu einem fairen Asylverfahren hatte. Das Gericht sah deswegen in seiner Abschiebung eine Verletzung der europäischen Grundrechtecharta. Es ordnete seine Rückkehr nach Deutschland und die Durchführung des Asylverfahrens durch das Bundesamt an, das Puid im Jahr 2011 als Flüchtling anerkannte. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof wollte daraufhin vom Europäischen Gerichtshof geklärt wissen, unter welchen Umständen andere EU-Staaten, als die nach der Dublin-Verordnung zuständigen, zur Asylprüfung verpflichtet sind.

Das europäische Gericht hat nun ein Grundsatzurteil aus dem Jahr 2011 bestätigt, demzufolge ein Asylsuchender nicht in den Ersteinreisestaat zurückgeschoben werden darf, wenn dort schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. In diesen Fällen kann das Bundesamt in Nürnberg die Asylprüfung selbst übernehmen. Es kann aber auch prüfen, ob womöglich ein dritter EU-Staat zuständig ist, etwa wenn dort Familienangehörige leben oder auf der Durchreise ein Asylantrag gestellt wurde. Nur wenn dieses Prüfverfahren zu lange dauert, ist der aktuelle Aufenthaltsstaat doch zur Prüfung des Antrags verpflichtet.

Damit bleibt zunächst einmal alles, wie es ist. Das grundsätzliche Prinzip der Dublin-III-Verordnung, daß Asylbewerber im Ersteinreisestaat ihr Verfahren betreiben müssen, bleibt unangetastet. Ausnahmen von dieser Regel im Falle »systemischer Mängel« in einem Dublin-Staat, also menschenunwürdige Lebensbedingungen für Asylsuchende, werden weiterhin politisch und juristisch erstritten werden müssen. Erst nach dem Urteil des EuGH von 2011 und immensem Druck von Menschenrechtsorganisationen hatte die Bundesregierung erklärt, grundsätzlich das sogenannte Selbsteintrittsrecht im Falle von Asylsuchenden auszuüben, die über Griechenland in die Bundesrepublik eingereist sind. Aber auch im Falle Italiens, Maltas und Ungarns gibt es vermehrt erschütternde Berichte über Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen. Das aktuelle EuGH-Urteil führt vor Augen, welche unmenschlichen Auswirkungen das jetzige System hat, in dem Schutzsuchende hin- und hergeschoben werden, statt ihnen schnell und effektiv Schutz zu gewähren. Das kann nur eine grundsätzliche Reform der Dublin-III-Verordnung beenden, die den Asylsuchenden selbst die Wahl ihres Aufnahmestaates überläßt.