Kommentar: Rechtsstaat ausgehebelt

Aufgrund seiner Verwicklung in den neofaschistischen Untergrund steht der Verfassungsschutz so stark in der öffentlichen Kritik wie nie zuvor in seiner Geschichte. Doch nach dem Willen der schwarz-gelben Bundesregierung sollen die Verfassungsschutzbehörden noch weiter gestärkt werden. Dies geschieht auch durch die Hintertür der Abgabenordnung. Das Jahressteuergesetz für 2013 sieht vor, daß alle in Verfassungsschutzberichten des Bundes oder eines Landes als »extremistisch« aufgeführten Vereinigungen automatisch ihre Gemeinnützigkeit und die damit verbundenen steuerlichen Vorteile verlieren. Bislang konnten betroffene Organisationen im Falle einer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ihre Gemeinnützigkeit vor dem Finanzamt oder durch eine Klage vor dem Finanzgericht nachweisen. Durch die geplante Gesetzesänderung ist ihnen diese Möglichkeit künftig verbaut, es bleibt nur eine zeitaufwendige Klage vor einem Verwaltungsgericht gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht.

Das Vorhaben der Bundesregierung erscheint gleich in mehrfacher Hinsicht rechtsstaats- und verfassungswidrig. So sind Verfassungsschutzberichte keine Rechtsakte, sondern lediglich Behördeneinschätzungen. Betroffene Vereine würden nicht einmal von den Finanzämtern angehört. Der Verfassungsschutz wird so zum Kläger und Richter zugleich – und müßte nicht einmal seine geheimen Quellen offenlegen. In der Bundesrepublik gibt es 15 Landesverfassungsschutzberichte (das Saarland gibt keinen heraus) und den Bericht des Bundesamtes. Es kommt schlicht einem Bruch mit dem föderalistischen Prinzip gleich, wenn jetzt die subjektive Einschätzung einer einzigen Verfassungsschutzbehörde bundesweite Gültigkeit erhält.

Noch im Jahr 2008 hatte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der damaligen Opposi­tionspartei FDP erklärt: »Nach den Grundsätzen unseres Rechtsstaats reicht ein Verdacht oder eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz noch nicht für eine Sanktion – hier: Aberkennung der Gemeinnützigkeit – aus.« Diese Auffassung habe sich nicht geändert, tröstet die Bundesregierung nun auf Nachfrage der Linken. Eine Organisation müsse vom Verfassungsschutz ausdrücklich als »extremistisch« bezeichnet werden. Allerdings handelt es sich beim Terminus »Extremismus« um keinen definierten Rechtsbegriff, wie auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages feststellte. Doch nun soll eine willkürlich zur Diffamierung politischer Opponenten verwendete Gummibezeichnung zu zwingenden Sanktionen führen und der Geheimdienst damit zum Zensor bürgerschaftlichen Engagements werden. Noch läßt sich diesem Vorhaben der Riegel vorschieben – wenn die FDP, die noch 2008 rechtsstaatliche Bedenken zeigte, Rückgrat beweisen würde.

* Die Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

erschien: junge Welt 26.7.2012