Rede im Bundestag: Bildungsselektion beenden statt brain-drain befördern

Rede zu TOP 5 der 161. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages, Erste Beratung des Entwurfs der Bundesregierung eines „Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union“ auf Drucksache 17/8682

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wie wir schon gehört haben, hat die Bundesregierung hier einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Bluecard-Richtlinie der Europäischen Union vorgelegt. Geregelt werden soll damit die Einwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften. Diese Richtlinie ist im Übrigen seit zweieinhalb Jahren in Kraft und hätte seit Juni 2011 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Warum das so lange gedauert hat, ist uns völlig unklar.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das erklären wir Ihnen!)
Denn nach der Gesetzesbegründung werden allenfalls 3 500 Menschen pro Jahr einen neuen Aufenthaltstitel durch diese Regelung erhalten. Darunter werden viele Menschen sein, die bereits nach den geltenden Regelungen für Hochqualifizierte einwandern konnten. Trotz dieser geringen Erwartungen an die Zahl der Einwanderungswilligen spricht der Gesetzentwurf von einem Fachkräftemangel in Deutschland.
Die Bundesregierung hat im vergangenen Bundeshaushalt die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit um 900 Millionen Euro und die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Arbeitsförderung um 800 Millionen Euro gekürzt.
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Die Arbeitslosigkeit ist aber auch deutlich gesunken, Frau Kollegin! – Gegenruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nur nicht bei den Linken!)
Die Kürzung bei den Arbeitsmarktinstrumenten beträgt rund 25 Prozent. Sie beklagen also einerseits Fachkräftemangel und streichen andererseits Mittel für Qualifizierungsmaßnahmen. Das ist absolut absurd.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Jetzt kommt die Vermögensteuer! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Besuchen Sie mal die Unternehmen und nicht nur die Gewerkschaften!)
Meine Damen und Herren, seit Jahren wird von Unternehmen und Politikern der angeblich drohende Fachkräftemangel beklagt. Zugleich gibt Deutschland seit Jahren weniger Geld für Ausbildung aus als der Durchschnitt der anderen OECD-Länder. Das Ergebnis spiegelt sich in vergleichsweise geringen Absolventenzahlen wider: Nur ein Viertel eines Jahrgangs hat in den vergangenen Jahren einen Hochschulabschluss erworben. In den OECD-Staaten waren es fast 40 Prozent. An dieser Stelle müsste die Regierung ansetzen. Das Bildungssystem in Deutschland muss für Menschen aus armen Familien durchlässiger werden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Statt früher Selektion in unterschiedliche Schultypen brauchen wir eine bedarfsorientierte Bildungsförderung. Doch stattdessen setzen Union und FDP in den Ländern auf den Erhalt von Hauptschulen und auf Studiengebühren an den Universitäten.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Bleiben Sie mal beim Thema!)
Sie selbst produzieren den Fachkräftemangel, den Sie vorgeblich bekämpfen wollen.
Meine Damen und Herren, die Diskussion um den Fachkräftemangel ist ein durchsichtiges Manöver.
(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Quatsch!)
So wollen Unternehmen durch den Zugriff auf ein höheres Arbeitskräftepotenzial den Druck auf die inländischen Löhne und Gehälter verstärken. Offensichtlich sind die deutschen Unternehmer nicht gewillt, den hier ausgebildeten Fachkräften ausreichende Vergütungen und Arbeitsbedingungen zu bieten.
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Wann haben Sie das letzte Mal mit einem Unternehmer gesprochen?)
Besonders absurd ist es,
(Zuruf von der FDP: Wo sind denn die Fachkräfte?)
wie Sie versuchen, Fachkräfte zu werben. Alle Fachleute sagen im Übrigen: Die Hochqualifizierten kommen nicht, weil sie sich in Deutschland nicht willkommen fühlen. Das ist auch kein Wunder. Schließlich machen mordende Nazis auch im Ausland Schlagzeilen.
(Beifall bei der LINKEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Wovon träumen Sie nachts?)
Es sind auch die komplizierten und restriktiven aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen, die Ausländer von der Einwanderung nach Deutschland abhalten. Da setzt die Koalition mit diesem Gesetzentwurf sogar noch einen drauf. Selbst für gebildete Deutsche ist dieses aufenthaltsrechtliche Kauderwelsch nur schwer nachvollziehbar. Statt neuer Regelungen im Detail brauchen wir eine klare Verschlankung des gesamten Aufenthaltsrechts. Die Linke sagt: Wer Fachkräfte haben will, der muss sie ausbilden und sie gemäß ihrer Qualifikation bezahlen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn es wirklich einen Fachkräftemangel in Deutschland gibt, dann ist er hausgemacht. Was Sie mit der Fachkräfteanwerbung machen, ist nichts anderes, als die Bildungs- und Ausbildungskosten auf andere Länder dieser Welt abzuwälzen. Das ist nichts anderes als neokoloniale Ausbeutung.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
– Ja, so ist es.
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Fidel Castro lässt grüßen! Mein Gott!)
Daran wird auch die Bestimmung nichts ändern, wonach das Arbeitsministerium durch Rechtsverordnung Berufe bestimmen kann – ich zitiere –, „in denen für Angehörige bestimmter Staaten die Erteilung einer Blauen Karte EU zu versagen ist, weil im Herkunftsland ein Mangel an qualifizierten Arbeitnehmern in diesen Berufsgruppen besteht.“ Das ist reine Augenwischerei. Denn Fakt ist: In der Realität werden sich interessierte Unternehmen ihre Beschäftigten dann eben auf anderer Rechtsgrundlage holen können.
Wer für die Menschen in der Bundesrepublik etwas tun will, muss endlich eine Ausbildungsplatzumlage und einen gesetzlichen Mindestlohn einführen.
(Beifall bei der LINKEN)
Das vorhandene Geld muss in Ausbildungs-, Bildungs- und Arbeitsmarktförderung fließen statt in milliardenschwere Bankenrettungspakete. Wer etwas für die Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern tun will, muss in die soziale, ökologische und demokratische Entwicklung dieser Länder investieren – und darf nicht noch die Leute, die dort qualifiziert wurden, abziehen – und nicht in Kriege und eine immer effektivere Abschottung Deutschlands.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Gisela Piltz [FDP]: Bei dieser Rede klatscht nicht einmal die Linke komplett! Ich verstehe sie auch!)