Offener Brief an die türkische Regierung

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
Sehr geehrter Herr Justizminister,

im Rahmen einer landesweiten Polizeioperation gegen prokurdische Oppositionelle wurden am 13. Februar 2012 auch die Zentrale der Gewerkschaftsföderation des Öffentlichen Dienstes (KESK) in Ankara und ihrer Mitgliedergewerkschaften Tüm Bel Sen und SES durchsucht. 15 Gewerkschaftsekretärinnen wurden fest- und acht von ihnen später in Haft genommen. Wie sich aus den anschließenden Verhören ergab, werden die festgenommenen Gewerkschafterinnen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung beschuldigt, weil sie gewerkschaftliche Aktivitäten zum Internationalen Tag der Prävention von Gewalt gegen Frauen (28.November) und dem internationalen Frauentag (8.März) vorbereitet haben.

Ihre Regierung behauptet, Frauenrechte in der Türkei zu verteidigen und zu stärken. Aber in Wahrheit werden Aktivistinnen der Frauenbewegung und der Gewerkschaften wegen ihres Einsatzes für Geschlechtergerechtigkeit eingekerkert.

Ihre Regierung behauptet, der Demokratie in der Türkei zum Durchbruch zu verhelfen. Das Recht, sich zu organisieren und in Vereinigungen zusammenzuschließen, das Recht zu kollektiven Verhandlungen und das Streikrecht sind grundlegende demokratische Rechte, zu deren Einhaltung sich die Türkei auch im Rahmen zentralen ILO-Konventionen Nr. 87 und 98 verpflichtet hat. Doch in der Praxis gelten weiter gewerkschaftsfeindliche Gesetze, die Millionen Bürgerinnen und Bürger dieser grundlegenden Rechte berauben. Aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter werden immer wieder mit Terrorismusvorwürfen überzogen und zu Haftstrafen verurteilt.

Unter der Regierung der AKP hat sich die Zahl der politischen Gefangenen verdoppelt. Täglich gehen die Verhaftungen weiter. Seien Sie versichert, dass wir nicht dazu schweigen werden, wenn die Türkei weiter in ein großes Gefängnis verwandelt wird!
Stoppen Sie die Massenrepression gegen politische Oppositionelle. Lassen Sie die politischen Gefangenen frei und garantieren Sie Gewerkschaftsrechte!

mit besten Grüßen,

Ulla Jelpke