Interview: `Es scheint fast so, als hätten gewisse Kreise ein Interesse daran, die NPD weiterhin mit Staatsgeldern am Leben zu erhalten“

LAG: Von Dir erschien vor Kurzem ( 12.Juli) ein Artikel in der „Jungen Welt“ in dem Du den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hart für seine Strategie angreifst, Neonazis verharmlosen zu wollen in dem er zunehmend das Feindbild „Linksextremismus“ in den politischen Mittelpunkt rückt. Wie genau sieht diese Verharmlosung deiner Auffassung nach konkret aus?

Ulla Jelpke: Schünemann und andere CDU-Hardliner behaupten seit längerem, dass „Linksextremismus“ schlimmer sei als die Gewalt von rechts. Ohne Belege behauptet er so, dass allein im ersten Quartal des Jahres 2011 die Gewalt von links um fast 70 Prozent gestiegen sei. Solche seit einigen Jahren immer wieder von Polizei und Verfassungsschutz oder nun eben Schünemann in den Raum geworfenen Zahlen sind kaum statistisch belastbar und an den Haaren herbeigezogen. Da werden etwa brennende Autos in Berlin und Hamburg pauschal als linke Gewalttaten gerechnet, obwohl keine Bekennerschreiben vorliegen und so gut wie keine linken Täter verurteilt wurden. Als linke Gewalt gelten die Proteste gegen Stuttgart21 – obwohl an den großen Protesten nicht nur Linksradikale und Mitglieder der Linkspartei sondern auch von ihrer Partei enttäuschte CDU-Wähler teilnahmen und Mitglieder der dort jetzt regierenden Grünen. Als Gewalttaten von Links zählen auch die massenhaften friedlichen Blockaden gegen Naziaufmärsche wie etwa im Februar in Dresden. Wer hier von der Polizei von der Straße weggetragen wurde, muss mit einer Anzeige wegen Widerstands rechnen – das geht in die linke Gewaltstatistik ein.

Doch was ist die Realität: Seit der Wiedervereinigung haben Neonazis und Rassisten – und nicht Linke ! – mehr als 140 Menschen – Flüchtlinge und Migranten, Obdachlose, Linke und Punks ermordet. Die Bundesregierung erkennt nur einen Bruchteil dieser Morde als rechtsmotivierte Tötungsdelikte an – um so die Gewalt von rechts weiter zu verharmlosen. Insbesondere sozialdarwinistisch motivierte Morde von jungen Neonazis an Obdachlosen und Sozialhilfeempfängern werden bei den staatlichen Statistiken über Nazi-Gewalt immer wieder unter den Tisch gekehrt.

Trotz regelmäßiger Waffenfunde bei Neonazis und nicht etwa bei Linken sieht Schünemann die Bundesrepublik nach einigen Böllerwürfen auf Demos und Brandstiftungen Unbekannter an Autos an der „Schwelle zum Linksterrorismus“. Dagegen weist selbst der Verfassungsschutz darauf hin, dass linke Täter etwa bei Brandanschlägen auf Rüstungsgüter darauf achten, keine Unbeteiligten zu gefährden. Schünemann stellt kurzerhand die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf um sein rechtskonservatives politisches Süppchen als Scharfmacher zu kochen. Das ist angesichts der andauernden Bedrohung durch Neofaschisten geradezu verantwortungslos.

LAG: Nicht nur Uwe Schünemann beschwört ja regelmäßig „die Gefahr von links“ sondern auch die jetzige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) betreibt eine notorische Gleichsetzung mittels des „Extremismus-Konzeptes“. So sollen bspw. zivilgesellschaftliche Träger von Bundesmitteln im Kampf gegen rechts neuerlich ihre Bündnispartner auf Verfassungstreue ausspähen. Welche Strategie vermutest Du hinter dieser politischen Linie?

Ulla Jelpke: Die inzwischen von der Bundesregierung zu Anti-Extremismus-Programmen umgewidmeten Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus stammen ja noch aus der Zeit des sogenannten Aufstandes der Anständigen unter SPD-Grünen-Regierung Schröder. Es geht hier etwa um die mobilen Beratungsstellen gegen rechte Gewalt, die oft in den ländlichen Regionen in Ostdeutschland nahezu der einzige Ansprechpartner für Antifaschisten sind. Den Unionsparteien waren solche zivilgesellschaftlich arbeitenden Initiativen gegen rechte Gewalt und Rassismus schon immer ein Dorn im Auge – schließlich wiesen diese immer wieder auch auf Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft und staatlichen Rassismus, die Ausgrenzungs- und Abschiebepolitik hin, die Neonazis erst ein Umfeld für ihre Mordtaten boten. Am Pranger standen so indirekt auch die bürgerlichen Parteien, insbesondere die Union. Es gab dann schon unter der großen Koalition den Versuch, diese zivilgesellschaftlichen Gruppierungen stärker an Ministerien und damit auch an die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden anzubinden. Mit der jetzt von Kristina Schröder eingeführten Extremismusklausel sollen diese Projekte entweder an die ganz enge Leine genommen werden oder finanziell ausbluten.

Man muss sich das mal praktisch vorstellen: eine aus staatlichen Geldern geförderte Initiative gegen Rechtsextremismus soll vorher jedes Mal beim Verfassungsschutz nachfragen, ob sie in einer ostdeutschen Kleinstadt mit einem Stadtrat der Linkspartei eine Veranstaltung machen könne. Denn sollte dieser Stadtrat Anhänger der Kommunistischen Plattform der Linkspartei sein, würde diese Initiative aus Sicht der Bundesregierung mit einem „Extremisten“ kooperieren und ihre Gelder würden gestrichten. Auch mich als bekanntem Mitglied der vom Verfassungsschutz genannten Antikapitalistischen Linken AKL dürften die aus Staatsmitteln geförderten Gruppen nicht mehr als Referentin einladen. Das Ganze zielt also eindeutig auf eine Schwächung solcher antifaschistischer Projekte, auf die Verbreitung von Misstrauen, auf die Schaffung einer Atmosphäre, in der keine solidarische Zusammenarbeit mehr möglich ist. Davon profitieren natürlich die Faschisten, die sich da ins Fäustchen lachen können. Zum Glück wächst der Widerstand gegen die Extremismusklausel nicht nur unter den Betroffenen, sondern auch bei SPD und Grünen, in gewerkschaftlichen und kirchlichen Kreisen.

LAG: Die NPD gilt ja seit längerem als eine Partei die sich mehr oder weniger offen zu nationalsozialistischen Thesen bekennt, zahllose Mitglieder sind verurteilte Straftäter, man kooperiert eng mit der militanten Neonazi-Szene und wie hier in Niedersachsen scheinen diese sogar stark an Einfluss innerhalb der Partei zu gewinnen. Vor allem konservative Innenpolitiker lehnen jedoch ein erneutes Verbots-Verfahren ab und erklären dies damit, dass man so über die V-Leute wichtige Informationen über die Szene erhält. Diese Argumentation ist doch mehr als skurril, oder?

Ulla Jelpke: Das erste u.a. von der Bundesregierung eingeleitete NPD-Verbotsverfahren scheiterte ja 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht an der Durchsetzung der Partei mit V-Leuten des Verfassungsschutzes. Jeder sechste Funktionär soll im Sold des Geheimdienstes gestanden haben, so dass das Verfassungsgericht von einer „mangelnden Staatsferne“ der NPD sprach, da es nicht erkennen konnte, welche der verfassungswidrigen Äußerungen und Taten denn nun auf originäre Nazis zurückgingen und welche auf die V-Leute. Voraussetzung für ein erfolgreiches neues Verbotsverfahren sei die rechtzeitige Abschaltung aller V-Leute der Geheimdienste von Bund und Ländern, hatte das Gericht damals erklärt. Vor allem die Unionsinnenminister weigern sich dennoch beharrlich, diese Grundbedingung für ein neues Verbotsverfahren zu ermöglichen. Dabei würde schon die ohne Spitzel offen zugänglichen Informationen etwa aus der Presse der NPD, Reden ihrer Funktionäre, die Beteiligung ihrer Mitglieder an Gewalttaten etc. völlig ausreichen, um Beweise für die Verfassungswidrigkeit dieser Partei zu präsentierten. Es erscheint fast so, als hätten gewisse Kreise geradezu ein Interesse daran, die NPD weiterhin aus Staatsgeldern und mit Hilfe staatlicher Einflussagenten am Leben zu halten – vielleicht als Gegengewicht zu einer in Zukunft in Zeiten wirtschaftlicher Krise wieder erstarkenden Linken?

LAG: Die Bundestagsfraktion der LINKEN hat kürzlich eine Analyse erstellt, die auf eine Zunahme von Übergriffen und Anschlägen auf Büros linker Politiker hinweist. Auch in Niedersachsen kommt es immer wieder zu solchen Taten. Wo siehst Du Möglichkeiten der Politik, aber auch der Zivilgesellschaft, diesem „Trend“ begegnen zu können?

Ulla Jelpke: Gerade in der Nacht auf den 20.Juli gab es einen neuen Anschlag auf mein Dortmunder Wahlkreisbüro. Offenbar wurde mit einem Hammer die Schreibe eingeschlagen. Es war der sechste Anschlag auf mein Büro innerhalb von drei Jahren. Es gab auch schon Anschläge mit lebensgefährlichen Stahlzwillen und mit ätzender Buttersäure. Mehrfach klebten dann auch Naziaufkleber daneben, damit klar war, wo die Täter zu suchen waren. In der Regel fanden solche Anschläge in Dortmund dann statt, wenn wir als Linkspartei aktiv an der Mobilisierung gegen den alljährlich Anfang September stattfindenden Großaufmarsch von Neonazis teilnehmen. Solche Anschläge gibt es ja nicht nur gegen Linksparteibüros. In Berlin fanden Anfang Juli gleich sechs Brandanschläge auf linke Zentren, Läden und alternative Wohnprojekte statt. Ein Haus der SPD-nahen Jugendorganisation Falken musste nach den Anschlägen, die auch tödlich hätten enden können, erst einmal geschlossen werden. Auf einer Neonazi-Website war zuvor zu solchen Angriffe auf Linke aufgerufen worden. Wichtig ist es, die Betroffenen nicht allein zu lassen sondern Solidarität zu zeigen.

Die Nazis differenzieren in ihrem Weltbild nicht groß zwischen Linkspartei oder SPD, Autonomer Antifa und alternativem Wohnprojekt. Das zeigen die jüngsten Anschläge. Daher müssen sich die Angegriffenen auch gemeinsam wehren. Sicherlich wird es für einen Sozialdemokraten nicht einfach sein, mit einem von ihm als „Extremist“ betrachteten autonomen Antifaschisten gemeinsam auf die Straße zu gehen. Und umgekehrt ist es natürlich das gleiche. Aber die erfolgreichen Blockaden in Dresden und anderswo haben gezeigt, dass wir den Nazis nur dann eine wirkliche Niederlage zufügen können, wenn alle Nazi-Gegner zusammenhalten. Dabei muss es natürlich jedem und jeder Partei und Gruppe erlaubt sein, weiterhin ihre Fahren, ihre Meinung, ihre Kritik aufrechtzuerhalten und auch ihre eigenen Methoden des Antinazikampfes zu wählen. Die Vielzahl von Anschlägen auf Büros der LINKEN hat aber auch ihren Hintergrund in der massiven Medienhetze auch der etablierten Zeitungen und Fernsehsender gegen unsere Partei. Dadurch werden Anschläge auf unsere Räume geradezu ermutigt.

LAG: Nicht nur der organisierte Rechtsradikalismus bereitet Sorgen. Auch innerhalb der sogenannten „Mitte“ nehmen fremdenfeindliche und nationalistische Positionen zu, wie wissenschaftliche Studien, wie die des Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer belegen. Welche Strategien könnte aber DIE LINKE verfolgen um dem politisch und gesellschaftlich entgegen zu wirken. Die bloße Ablehnung schriller Thesen, wie denen von Thilo Sarrazin, kann ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Ulla Jelpke: Das ist etwas, worauf ich schon sehr lange hinweise. Thilo Sarrazin ist kein frustrierter, arbeitsloser Neonazi im Hinterzimmer sondern er war Berliner Senator und Bundesbanker. Er gehört also den sogenannten Eliten der Gesellschaft an. Und Sarrazin ist weiterhin SPD – und nicht etwa NPD-Mitglied. Oder denken wir an den Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), der Sarrazin umgehend beipflichtete und ein Zuzugsverbot für Türken oder Muslime forderte. Durch solche zweifelhaften Vorbilder fühlen sich dann viele Menschen in ihrem eigenen Rassismus ermutigt, die sich nie und nimmer als Parteigänger der als schmuddelig verschrienen NPD verstehen würden. Das macht Brandstifter wie Sarrazin so gefährlich.

In der genannten Heitmeyer-Studie wird ja insbesondere vor einer zunehmenden sozialen Kälte der Besserverdienenden gegenüber den Opfern des Neoliberalismus gesprochen. Ich denke, es ist kein Zufall, dass Sarrazin, der als Berliner Senator und Bundesbanker selber die neoliberale Politik umsetzten, zuerst mit zynischen Sprüchen gegen Hartz-IV-Empfängern provozierte, ehe er sich auf Muslime einschoss, die er mit den Empfängern von Sozialleistungen quasi gleichsetzte. So versuchte Sarrazin, die deutschen Opfer der neoliberalen Politik gegen nichtdeutsche beziehungsweise muslimische Opfer dieser Politik aufzuhetzen. Das ist das alte Spalte-und-Herrsche-Prinzip, auf das jetzt auch neoliberale Rechtspopulisten wie die FPÖ in Österreich und Islamhasser-Kleinparteien wie Pro-Deutschland und Die Freiheit aufspringen. Genau hier muss eine linke Strategie ansetzen. Zum einen müssen wir uns jeder Ethnisierung oder Kulturalisierung der sozialen Frage widersetzen. Es sollte für uns erst einmal unerheblich sein, welche Sprache jemand spricht oder an welchen Gott jemand glaubt. Wir treten für gleiche und demokratische Rechte für alle hier lebenden Menschen ein. Und wir müssen gemeinsamen Widerstand aller von neoliberaler Kahlschlagpolitik betroffenen organisieren. Im gemeinsamen Kampf kann auch das scheinbar Trennende wie eine andere Religion oder Kultur überwunden werden. Die Linke darf aber eben nicht nur beim Antifaschismus stehen bleiben.

Wir müssen zugleich eine populäre soziale und antikapitalistische Politik betreiben. Wir dürfen die Kritik am Kapitalismus nicht den Rechten mit ihrem demagogischen Scheinantikapitalismus und völkischen Sozialismus überlassen, sondern müssen hier selbstbewusst unser eigenes Programm präsentieren, einschließlich Forderungen wie der Verstaatlichung von Banken und Energiekonzernen.