Artikel: Stammtisch führt Regie

Die Sicherungsverwahrung wurde in der Nazizeit eingeführt und wird seither als schärfste Maßnahme des Strafrechts beibehalten. Sicherungsverwahrung bedeutet, daß ein Verurteilter auch nach vollständiger Verbüßung seiner Strafe weiterhin inhaftiert bleibt, und zwar auf unbestimmte Zeit, möglicherweise lebenslänglich. Begründet wird dies mit der potentiellen Gefährlichkeit des Betroffenen. Die Linke lehnt diese Maßnahme als einzige Fraktion im Bundestag gänzlich ab.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einer grundlegenden Entscheidung im Dezember 2009 und in mehreren erst vor kurzem ergangenen Urteilen die deutsche Regelung teilweise für menschenrechtswidrig erklärt. Es ging dabei um Fälle, bei denen die ursprünglich auf zehn Jahre begrenzte Sicherungsverwahrung nachträglich auf unbestimmte Zeit verlängert worden ist. Dies verstieß nach Auffassung der Strasbourger Richter gegen das Verbot einer rückwirkenden Strafverschärfung. Die Bundesregierung erließ daraufhin jedoch kein Gesetz zur Freilassung der Betroffenen. Sie überließ es vielmehr den Gerichten, in jedem Einzelfall über das Ende der Haftzeit zu entscheiden. Die Oberlandesgerichte urteilten seither in diesen Fällen unterschiedlich.

Vor dem Bundesverfassungsgericht haben daher zwei Männer, bei denen ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vorliegt, Beschwerde erhoben. In einem weiteren Fall ging es am Dienstag darum, ob Sicherungsverwahrung nach dem Jugendgerichtsgesetz überhaupt verhängt werden darf. Auch dieses Problem hat die Bundesregierung bei ihrer zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Reform ausgeklammert.

Mit Spannung wird erwartet, ob sich das Bundesverfassungsgericht selber korrigiert und bei seinem Urteil an den Entscheidungen des Europäischen Gerichthoffs für Menschenrechte orientiert. Bisher hatte Karlsruhe die Regelungen zur Sicherungsverwahrung entgegen der Strasbourger Rechtsprechung stets gestützt. Daher wird das BverfG auch eine Aussage dazu treffen müssen, welche Bedeutung die Europäische Menschenrechtskonvention für die Auslegung des deutschen Rechts hat. Kritik an der Bundesregierung übte vor allem die Linkspartei. »Wenn es um die Sicherungsverwahrung ging, waren der deutschen Politik die Stammtische in den vergangenen Jahren wichtiger als die Grundrechte und die Menschenrechtskonvention«, so deren Bundestagsabgeordneter Wolfgang Neškovic. Mit ihrem Verhalten mißbrauche die Regierung das Bundesverfassungsgericht als Ausputzer für ihre jahrelange Arbeitsverweigerung, so der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof.