Kommentar: Kapitalistisches Frühwarnsystem

Obwohl konservative Medien und Politiker seit Monaten über einen angeblichen Anstieg „linksextremistischer“ Gewalt klagen, haben sie bis heute keine Statistik vorgelegt, die diese Behauptung untermauern könnte. Ich habe die Funktionsweise und Mängel der bisherigen Zahlenwerke erst gestern in der jungen Welt dargelegt (siehe Anhang).
Auch der Verfassungsschutzbericht beweist in erster Linie nur, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière als höchster Vertreter des inländischen Repressionsapparates ein gesteigertes Interesse daran hat, gegen links vorzugehen.

Dieses Interesse hängt eng mit der erwarteten Entwicklung in diesem Land zusammen. Die kapitalistische Krise nimmt kein Ende, und damit wird auch der Sozialabbau weiter gehen. Dem Innenminister selbst ist bewusst, dass die gefürchteten „Linksextremen“ mit ihren Aktionen an ganz reale Nöte der Bevölkerungsmehrheit anknüpfen – der Sorge vor Mieterhöhungen, die zur Vertreibung führen, vor Arbeitslosigkeit, vor Hartz IV und noch weiterer Verarmung. Dass diese Menschen bald in großer Zahl auf die Straße gehen und dabei mit antikapitalistischen linken Kräften zusammengehen könnten, gehört zu den größten Sorgen der Kapitalisten und ihrer Vertreter in der Politik.
Deswegen braucht der Bundesinnenminister den Verfassungsschutz als „Frühwarnsystem“, wie er gestern ausführte, deswegen will er „die Leitfiguren der Szene“ identifizieren, ihre Kommunikationswege aufdecken – sprich: Die linke Szene mit Spitzeln unterwandern. Dementsprechend hat Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm gestern bestätigt, sein Amt werde eine „Ressourcenverschiebung“ vornehmen, um künftig weniger den Neofaschisten, sondern verstärkt „Linksextremisten“ entgegenzuwirken
Außerdem wird an Maßnahmen gearbeitet, linke Demonstrationen faktisch zu verhindern: „Wenn es zu Gewalt kommt, muss sich jeder einzelne friedliche Demonstrant von den Gewalttätern distanzieren“, so de Maizière. Das entspricht der Linie, die schon Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach vorgegeben hat: Hin zur Verschärfung des Landfriedensbruch-Paragraphens. Dann würden alle bestraft, die beim ersten Steinwurf nicht das Weite suchen. In der Praxis hieße das: Nicht nur die militante Gegenwehr gegen Polizeiübergriffe, sondern auch schon eine Handvoll irregeleiteter Militanter oder aber agents provocateurs genügen, um jegliche Demonstration aufzulösen. Genau das, was die Herrschenden in Zeiten sozialer Unruhe haben wollen.
Es wird eine Herausforderung für breite linke Bündnisse sein, durch diese Pläne einen Strich zu ziehen!

100621_jW_Gewaltstatistik.pdf