Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom vergangenen Dienstag, mit der die deutsche Regelung der Sicherungsverwahrung endgültig für teilweise menschenrechtswidrig erklärt worden ist, will Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) handeln. Sie kündigte noch für dieses Jahr eine grundlegende Reform der Sicherungsverwahrung an. Vor der an sich gebotenen Konsequenz, auf das »Wegsperren für immer« in einem Rechtsstaat ganz zu verzichten, scheut Leutheusser-Schnarrenberger allerdings zurück. Ein solcher echter Reformschritt würde zu einem erheblichen Streit in der Koalition führen, denn vor allem die CSU hat in den letzten Tagen Druck für eine Gesetzesverschärfung gemacht. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat dem Bundesjustizministerium Untätigkeit vorgeworfen, und seine Kabinettskollegin Beate Merk (CSU), Justizministerin in Bayern, kündigte gar den Bau einer neuen Hochsicherheitsanstalt für sogenannte Sicherungsverwahrte an.
Der Kritik vom eigenen Koalitionspartner, die innere Sicherheit zu vernachlässigen, will Leutheusser-Schnarrenberger offenbar zuvorkommen. Sie erklärte in der Süddeutschen Zeitung vom Donnerstag, daß eine Unterbringung rückfallgefährdeter Täter über das Haftende hinaus auf »schwerste Straftaten« beschränkt werden soll. Eine nachträgliche, nicht bereits im Urteil angeordnete oder vorbehaltene Sicherungsverwahrung werde dann nur noch in sehr engen Grenzen möglich sein.
Ob damit schon die strengen Vorgaben des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs erfüllt werden, scheint aber fraglich. Eingeführt wurde die Sicherungsverwahrung in der Nazizeit durch das »Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher« vom 24. November 1933. Es handelt sich um eine rechtsstaatlich äußerst problematische zusätzliche Inhaftierung nach einer Strafverbüßung, also um eine Art Doppelbestrafung. Hierfür gilt der »Nulla-poena«-Satz des Artikel 103 Grundgesetz (»Keine Strafe ohne vorheriges Gesetz«). Der EGMR hat sich in einem Urteil im Dezember 2009 klar für diese Auffassung entschieden. Der Rechtsbehelf der Bundesregierung gegen dieses Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Sicherungsverwahrung war bis zum Jahre 1998 bei der erstmaligen Anordnung auf zehn Jahre begrenzt worden. Diese Frist wurde 1998 rückwirkend aufgehoben, so daß den Verurteilten seither lebenslange Inhaftierung droht. Die europäischen Richter sahen darin einen klaren Verstoß gegen den Grundsatz, daß es keine rückwirkende Änderung von Strafen geben dürfe. Daher siegte ein Betroffener aus Hessen beim EGMR. In Deutschland sind etwa 70 Häftlinge, die demnächst freigelassen werden müssen, in einer ähnlichen Situation.
Der frühere Generalbundesanwalt Kay Nehm nutzte dennoch die neuerliche Debatte dafür, weitere Verschärfungen zu verlangen. Bei schweren Sexualdelikten mit hoher Rückfallwahrscheinlichkeit solle laut Nehm die Sicherungsverwahrung als Regelfall gesetzlich festgeschrieben werden. Beim Anwaltstag in Aachen wurde dagegen am Freitag »eine Grundsatzreform der seit Jahren unablässig ausgeweiteten Vorschriften« angemahnt. Der Präsident des deutschen Anwaltvereins, Wolfgang Ewer, betonte: »Therapeutische Angebote müssen in wesentlich größerem Umfang als derzeit zur Verfügung gestellt werden«.