Artikel: Retter bleiben straffrei

Die italienische Staatsanwaltschaft hatte zuvor vier Jahre Haft wegen »Beihilfe zur illegalen Einwanderung in einem besonders schweren Fall« gefordert, weil das Hilfsschiff »Cap Anamur II« die Flüchtlinge im Juli 2004 nach ihrer dreiwöchigen Irrfahrt nach Sizilien gebracht hatte. Die italienischen Behörden behaupteten, die Flüchtlinge, die inzwischen alle wieder abgeschoben wurden, hätten in Malta an Land gehen müssen, da sie in maltesischen Gewässern gerettet wurden.

»Der Freispruch ist das folgerichtige Urteil eines fragwürdigen Strafprozesses«, erklärte das Notärztekomitee Cap Anamur. Alles andere wäre eine »Katastrophe für das europäische Justizsystem« gewesen, sagte der Gründer der Hilfsorganisation, Rupert Neudeck. Die Internationale Liga für Menschenrechte will dem Kapitän am 13. Dezember in Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille verleihen. Zur Begründung hieß es, die Rettungsaktion sei ein herausragender Beitrag zur Verwirklichung der Menschenrechte an den Grenzen der Europäischen Union gewesen. Auch die Linksfraktion im Bundestag begrüßte die Freisprüche. »Wer DDR-Bürgerinnen und -Bürgern zur illegalen Ausreise verhalf, wurde nicht als böser Schleuser hingestellt, sondern als Fluchthelfer heroisiert. Jeder Tote am Eisernen Vorhang war ein Skandal, während die Opfer auf dem Todesstreifen am Rande der EU als Rücksichtslosigkeit so genannter Schlepper verkauft werden«, erklärte die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen. Auf die Anklagebank gehörten nicht die Retter, sondern die Verantwortlichen dieser EU-Abschottungspolitik.

Die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl fordert nun auch Freisprüche in ähnlich gelagerten Verfahren gegen tunesische Fischer. Zugleich weist Pro-Asyl-Referent Bernd Mesovic auf eine »verheerende Signalwirkung« des quälend langen Verfahrens« gegen Cap Anamur hin. So hätten Bootsflüchtlinge berichtet, daß in den Gewässern zwischen Libyen, Malta und Italien mehrfach Schiffe an ihren seeuntüchtigen Flüchtlingsbooten vorbeigefahren seien, ohne zu helfen. Allein im August verhungerten und verdursteten 73 afrikanische Flüchtlinge, weil sie drei Wochen lang auf dem Mittelmeer trieben, ohne daß eines der mehr als zehn in dieser Zeit vorbeifahrenden Fischerboote half. »Die Saat der Inhumanität, ausgebracht vom früheren Innenminister Otto Schily und seinem italienischen Amtskollegen ­Giuseppe Pisanu, geht damit auf«, hieß es von Pro Asyl.

erschienen in junge Welt 08.10.09