Bundeswehrgelöbnis am 20. Juli: Protest statt Teilnahme

Falsche Symbolik

Kritikwürdig ist schon die Form des Zeremoniells und die Wahl des Ortes. Das Gelöbnis wird „öffentlich“ zelebriert – das impliziert das Erheischen von gesellschaftlicher Anerkennung und reiht sich ein in die Wehrpropaganda der letzten Wochen (Tapferkeitsorden, Bau eines „Ehrenmals“).
Als Ort wird ausgerechnet der Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude gewählt, hier verstanden als Mitte der zivilen Gesellschaft. Die Soldaten drücken der Gesellschaft ihren Stempel auf. Als ob die Attentäter des 20. Juli irgendetwas mit Demokratie am Hut gehabt hätten.
Die Zeremonie mit Pauken und Trompeten wird häufig als Relikt aus preußischen Zeiten kritisiert. Zu Unrecht: Dermaßen pompös aufgeladen wurde die Vereidigungszeremonie erst von den Nazis.

20. Juli: Kein Aufstand des Gewissens

Am 20. Juli 1944 verübte eine kleine Gruppe oppositioneller Wehrmachtsoffiziere einen Staatsstreichversuch, der noch am gleichen Tag scheiterte. Die Bundeswehr ehrt dieses Ereignis und gibt damit vor, in einer antifaschistischen Tradition zu stehen.

Das Attentat auf Hitler war jedoch kein „Aufstand des Gewissens“, sondern Ausdruck eines Auseinanderfallens der herrschenden Kreise Nazideutschlands – bedingt vor allem durch das Näherrücken der Sowjetarmee.
Im Jahr 1933 hatte Hitler zum Machtantritt die Zustimmung der alten, nationalkonservativen Eliten benötigt. Es schien ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die Deutschnationalen versprachen sich von den Nazis den Aufbau eines autoritären Staates und die (Wieder-)Aufrüstung Deutschlands zur Großmacht.

Retten, was zu retten schien

Wie jedes Bündnis hielt auch dieses nur solange, wie die gegenseitigen Erwartungen erfüllt wurden. Entscheidend für die Handlungsbereitschaft der Offiziersopposition war ihre Einschätzung der militärischen Lage. Solange der Krieg siegreich verlief, gab es so gut wie keinen Widerstand von Seiten der Militärs, ja sie trugen den Überfall auf Polen und die Sowjetunion voller Begeisterung mit. Erst als deutlich wurde, dass ein Verbleib Hitlers an der Macht unvermeidlich zur bedingungslosen Kapitulation führte, wurde das Bündnis brüchig, wuchs die Bereitschaft zum Widerstand.
Das Attentat war nicht selbstlos, es hatte mit Gewissen nicht viel zu tun. Die Dokumente sind eindeutig: Die Verschwörer wollten retten, was noch zu retten schien. Sie wollten das von Tschechien geraubte Sudetenland behalten, Österreich weiter dem Reich eingliedern, das Memelland, einige wollten sogar wieder Kolonien haben. Das Reich sollte in jedem Fall ein globaler Machtfaktor bleiben.
Vor allem aber wollten sie die Kommunisten niederhalten: Ein Einmarsch der Sowjetarmee wie auch eine – zu Unrecht befürchtete – sozialistische Erhebung hätte den Anspruch der Offiziere, in Deutschland wieder tonangebend zu werden, zunichte gemacht.

Gleichzeitigkeit von Kriegsverbrechen und Widerstand

Wenn überhaupt über „Schattenseiten“ der Attentäter gesprochen wird, dann wird stets entschuldigend nachgeschoben, sie hätten ja aus ihren Fehlern gelernt, angesichts der Verbrechen der Nazis die Konsequenzen gezogen und den Staatsstreich gewagt, was wir ehrend anerkennen sollten.
Diese Interpretation suggeriert, die Offiziere des 20. Juli seien nur Zuschauer beim Massenmord gewesen. Man weiß aber, dass sie Akteure im faschistischen Terror waren. Die Mehrzahl dieser Offiziere saß auf so hohen Posten im Militärapparat, dass sie weniger Befehle erhielten, sondern sie vielmehr erteilten. Und sie haben Verbrechen aus eigener Initiative hin angeordnet bzw. empfohlen.
Generalquartiermeister Eduard Wagner verweigerte die notwendige Versorgung der sowjetischen Kriegsgefangenen: „Nicht arbeitende Kriegsgefangene haben zu verhungern“ war sein Credo. Deswegen gab es nicht genug Nahrung, Heizmöglichkeiten, Transportkapazitäten, deswegen starb bis Februar 1942 über die Hälfte der gefangenen 3,3 Millionen Rotarmisten. Der Kommissarbefehl wurde auch von den später oppositionellen Militärs ausgeführt (d. h. die völkerrechtswidrige Ermordung von Politkommissaren der Roten Armee); Panzergeneral Erich Hoepner stachelte zur Vernichtung „des jüdischen Bolschewismus“ auf und ließ „partisanenverdächtige Elemente“ nicht gefangen nehmen, sondern gleich erschießen; General Carl-Heinrich von Stülpnagel befahl, bei „kollektiven Strafaktionen“ nach Partisanenangriffen „in erster Linie jüdische und kommunistische Einwohner“ zu ermorden.

Die Bereitschaft zum Widerstand und die Bereitschaft zu Kriegsverbrechen gingen Hand in Hand. Tresckow unternahm im März 1943 seinen ersten konkreten Anschlagsversuch auf Hitler. Nur einen Monat später entwickelte er den Vorschlag, sogenannte „tote Zonen“ einzurichten: Um die Partisanen zu isolieren, sollten Hunderttausende von Menschen aus den Wäldern Weißrusslands verschleppt werden, was natürlich hieß, sie bei Weigerung zu erschießen. Noch im April 1944 ordnete Tresckow an, Zivilisten als Zwangsarbeiter nach Deutschland zu verschleppen und bei Weigerung „als bandenverdächtig anzusehen“ – ein Todesurteil.

Solche Widersprüche werden mit der offiziellen Formel vom „Aufstand des Gewissens“ regelrecht zugekleistert. Der Verteidigungsminister behauptet in seinen Ansprachen, die Attentäter hätten „für das Recht sowie für die Würde und Ehre unseres Landes gekämpft“ (20. Juli 2007).
Trotz aller Verbrechen auf das eigene Land, ja sogar auf die Wehrmacht oder doch wenigstens Teile von ihr stolz sein zu können, das ist der Zweck der offiziösen 20.-Juli-Feiern.
Dabei ist die Traditionspolitik der Bundeswehr „dialektisch“: Zwar wird der 20. Juli hochoffiziell geehrt, aber es sind immer noch mehr Kasernen nach „führertreuen“ Generälen als nach oppositionellen benannt. Nach wie vor knüpft die Bundeswehr an den Mythos der „sauberen Wehrmacht“ an, verehrt die alten Helden und kungelt mit geschichtsrevisionistischen Traditionsgemeinschaften.

Kein Vorbild für Linke

Auch wenn ein Gelingen des Attentates höchstwahrscheinlich Millionen von Menschen das Leben gerettet hätte: Die Offiziere des 20. Juli sind kein Vorbild für Linke und AntimilitaristInnen. Zu spät kam ihre Tat – Jahre nachdem der „einfache Mann“ Georg Elser schon einen Anschlagsversuch gewagt hatte. Antifaschisten wie Rudolf Breitscheid und Ernst Thälmann starben deswegen im KZ, weil die Herren Offiziere zuvor jahrelang den Nazis die Treue gehalten hatten. Wenn überhaupt, orientieren wir uns unter Wehrmachtsangehörigen an Deserteuren, Wehrkraftzersetzern oder sogenannten Kriegsverrätern, die nicht erst Massenmorde angeordnet haben, ehe sie zum Widerstand stießen.

Legitimation der Angriffsarmee Bundeswehr

Der 20. Juli wird instrumentalisiert, um Bundeswehreinsätze in aller Welt zu legitimieren. Jung am 20. Juli 2007: „Deutschland und Europa haben aus der Geschichte die Lehre gezogen, dass ein aktives Eintreten für Freiheit, Recht und Menschenwürde nicht nur in der Heimat, sondern auch darüber hinaus gefordert ist. Als verantwortliches Mitglied der Staatengemeinschaft können wir uns dieser Verantwortung nicht entziehen“.

Der Protest gegen öffentliche Gelöbnisse in Berlin und anderswo ist in erster Linie ein antimilitaristischer Protest gegen den Umbau der Bundeswehr zur Kriegsarmee. Das Weißbuch der Bundeswehr hat sich offen vom Auftrag der Landesverteidigung verabschiedet, die Bundeswehr gilt als „Armee im Einsatz“, ganz ohne geographische Beschränkungen; sie ist verantwortlich für das Töten in Afghanistan.

Es gibt also viele gute Gründe, gegen die Bundeswehr, ihre falschen Vorbilder und ihre tödliche Gegenwart zu demonstrieren!