Eine Antwort auf die Vorwürfe des Zentralrates der Armenier in Deutschland: Für wissenschaftliche Aufarbeitung des Völkermordes an den Armeniern statt unkritischer Lepsius-Verehrung

Während die Unterstützer des Bundestagsantrages 15/5689, CD/CSU, FDP, SPD und Bündnis90/Die Grünen nur von „Vertreibungen und Massakern an den Armeniern“ sprechen, hat die LINKE als einzige Bundestagsfraktion in ihrer Kleinen Anfrage diese als „Genozid“ und „Völkermord“ benannt. Schon allein dadurch sollte deutlich werden, dass es uns bei der Kleinen Anfrage 16/9956 „Bundesmittel für das Lepsius-Haus und die Gedenkstätte zum Völkermord an den Armeniern“ keineswegs um eine Relativierung dieser Ereignisse geht. Im Gegenteil: Hintergrund unsrer Kleinen Anfrage war die Sorge, dass das Gedenken und die Aufarbeitung des Völkermordes durch eine einseitige Konzentration auf die Person von Johannes Lepsius und die unkritische Darstellung seines Lebens und Werks gefährdet werden.

Das Gedenken an den vom jungtürkischen Regime und seinen deutschen Militärberatern begangenen Genozid an über einer Million Armeniern während des Ersten Weltkrieges ist wichtig. Ebenso notwendig sind die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung der Hintergründe und Opfer dieses Völkermordes und die Benennung der Täter sowie die Ehrung derjenigen, die sich dieser Barbarei entgegenstellten. Dazu gehören in Deutschland neben Pfarrer Johannes Lepsius der sozialistische Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht, der pazifistische Schriftsteller Armin T. Wegner und andere.

Die vom bekannten Genozid-Forscher Wolfgang Gust aufgezeigten braunen Flecken auf Lepsius Weste sind kein Geheimnis mehr. Nur wenn wir als Befürworter der Einrichtung einer Gedenkstätte im Lepsius-Haus vorbehaltlos alle Brüche und Widersprüche im Leben des Johannes Lepsius aufzeigen, können wir dessen unbestreitbare und große Verdienste um das armenische Volk glaubhaft würdigen. Wer aber wie der ZAD jede Kritik an Johannes Lepsius ausblendet und abwehrt und diesen quasi zum Heiligen erhebt, läuft letztlich türkischen Genozidleugnern ins offene Messer. Denn der staatlichen türkischen Geschichtsinterpretation nahestehende Kreise haben den Vorwurf der Aktenmanipulation bereits aufgegriffen, um über eine Kritik der Person von Lepsius und seines Wirkens die Ereignisse um den Genozid insgesamt in Frage zu stellen oder zu relativieren. Und diese im Übrigen selber alles Andere als demokratisch gesinnten Kreise werden den unkritischen Lepsius-Verehrern auch dessen antidemokratische Gesinnung vorhalten, um damit das Gedenken an den Genozid insgesamt in ein negatives Licht zu rücken.

Peinlich ist der Verweis des ZAD, Lepsius könne kein Antisemit gewesen sein, da er mit dem jüdischstämmigen US-Botschafter Morgenthau kooperiert habe. Lepsius antisemitische Äußerungen, wonach „das jüdische Volk […] Mittelalter und Neuzeit als Parasit der Germanen überdauert“ habe und seine Verehrung des Rassefanatikers Houston Steward Chamberlain werden dadurch nicht entkräftet.

Dass der sozialistische Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht sich bei seiner Kleinen Anfrage im Reichstag zum Schicksal der Armenier ausdrücklich auf die Dokumentation von Johannes Lepsius bezog, ist richtig. Das ändert jedoch nichts daran, dass Lepsius 1919 im Auftrag de Auswärtigen Amtes seinen guten Namen für eine manipulierte Edition der Dokumentensammlung „Deutschland und Armenien 1914-1918“ hergab, aus denen durch Auslassungen und Fälschungen jede deutsche Mitverantwortung an dem Genozid vertuscht wurde. Gerade die vom ZAD benannte Tatsache, dass Lepsius 1920 – also nach dem Friedensvertrag von Versailles – in seiner Zeitschrift „Der Orient“ von einer „Mitschuld“ Deutschlands sprach, beweist, dass Lepsius die Wahrheit kannte und damit auch die Aktenmanipulationen durchschaut haben musste. Doch die vorgeblich weiße Weste des deutschen Reiches bei den Friedensverhandlungen war dem Anhänger eines Großdeutschen Kaisertums Johannes Lepsius offenbar wichtiger wie die Benennung der Mitverantwortlichen für den Genozid und deren strafrechtlicher Verfolgung.

Ich möchte den Vergleich ziehen zum Widerstand des 20.Juli 1944 gegen Adolf Hitler. Die Attentäter um Graf Stauffenberg haben das große Verdienst, wenigstens in letzter Minute den Tyrannenmord versucht zu haben. Wer aber ausblendet, dass ein Großteil der Verschwörer bis 1944 den deutschen Vernichtungskrieg mitgetragen hat, zum Holocaust schwieg oder diesen gar aktiv unterstützte und für ein Deutschland nach Hitler weiterhin ein diktatorisches Regime befürwortete, wird dem Attentat des 20.Juli nicht gerecht. Wenn wir auf diese rechte Gesinnung eines Großteils der Verschwörer des 20.Juli hinweisen, relativiert dies keineswegs ihre historische Leistung, sondern ordnet diese nur geschichtlich korrekt ein. Eine ebensolche Herangehensweise erscheint mir im Falle Lepsius geboten.

Ich befürworte die Einrichtung einer Genozidgedenkstätte und eines Instituts zur weiteren wissenschaftlichen Aufarbeitung des Genozids im Potsdamer Lepsius-Haus. Wogegen ich mich allerdings verwehre, ist eine einseitige und unkritische Darstellung des Lebens und Werks von Johannes Lepsius. Daher begrüße ich es, dass die Bundesregierung sich als Mittelgeber des Lepsius-Hauses für ein differenziertes Lepsius-Bild einsetze will. Damit hat unsere Kleine Anfrage ihr Ziel erreicht.